Die Hebamme Katharina Jeschke erlebt Mütter, die in den Wehenpausen unter der Geburt Insta-Stories posten, und Väter, die Candycrush spielen. Im Interview warnt sie vor den Folgen.
Frau Jeschke, Sie arbeiten seit mehr als 25 Jahren als Hebamme. Wie haben Geburten sich verändert?
Was mich und viele Kolleginnen umtreibt, ist der Umgang mit Social Media im Kreißsaal. Ich beobachte es selbst und merke es auch an den Reaktionen von Pflegeschülern, die ich ausbilde. Die verbringen einige Wochen auf der Geburtsstation und kommen völlig erschüttert zurück in den Unterricht. Sie sagen, sie hätten eigentlich gar keine Geburten erlebt, sondern eher Social-Media-Events.
Was meinen Sie damit?
Das Smartphone im Kreißsaal hat unterschiedliche Funktionen. Es stellt die Verbindung nach außen sicher, zu Freunden und zur Familie. Manche Väter machen einen Livestream von der Geburt, um alle auf dem Laufenden zu halten. Ich glaube, die wichtigste Funktion des Smartphones für werdende Eltern ist, dass sie sich ablenken können. Wir erleben, dass Väter Candycrush spielen, während die Frau in den Wehen liegt. Manche Frauen checken in den Wehenpausen ihre Whatsapp-Nachrichten, andere posten Insta-Stories.
Geburten ziehen sich meist über viele Stunden hin und tun wahnsinnig weh. Ist es nicht verständlich, dass Menschen da ein bisschen Ablenkung suchen?
Ich kann diesen Wunsch verstehen, aber die beschriebenen Verhaltensweisen sind für den Geburtsprozess nicht hilfreich. Die Aufgabe der Eltern besteht ja darin, sich auf die Geburt einzulassen und das Baby willkommen zu heißen. Dazu passt es nicht, dass man ständig Kontakt zur Außenwelt pflegt und einen so intimen Moment wie den Geburtsvorgang in den sozialen Medien postet. Das kann eine Geburt sogar verlangsamen.
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Inwiefern?
Wenn Frauen Wehen haben, werden verschiedene Hormone ausgeschüttet. Das Bindungshormon Oxytocin etwa steuert die Wehen und sorgt dafür, dass der Muttermund sich öffnet. Prostaglandin lässt den Gebärmutterhals weich werden. Gleichzeitig bedeuten Wehen ungeheuren Stress. Parallel zu den Hormonen schüttet der Körper deshalb Endorphine aus, das sind körpereigene Opioide, die schmerzlindernd und euphorisierend wirken für die Mutter und für das Kind. Wenn Frauen bei der Geburt sehr stark abgelenkt werden, kann es sein, dass dieser Regelkreislauf nicht mehr gut funktioniert.
Welche Folgen hat das?
Die Wehen sind nicht mehr effizient, und die körpereigene Schmerzbekämpfung wirkt nicht mehr so gut. Social Media kann also als ein regelrechter Wehenblocker fungieren: Die Geburt gerät ins Stocken, und dann sagen wir Geburtshelfer, okay, wir müssen intervenieren. Die Frauen werden an den Wehentropf angeschlossen und erhalten von außen Oxytocin, um die Wehen wieder anzuregen. Sie bekommen Schmerzmittel, um die Intervention aushalten zu können. Eine Interventionskaskade läuft immer schrittweise ab. Der letzte Schritt ist dann der Kaiserschnitt oder eine vaginal operative Entbindung. Beginnt man mit Interventionen, folgen häufig weitere Interventionen.
Die ersten Momente nach einer Geburt sind magisch. Kann man die mit der Smartphone-Kamera festhalten oder zerstört man sie?
Ich finde es schade, wenn Eltern diese absolut einmaligen Augenblicke nicht ungestört mit ihrem Kind verbringen können. Viele fühlen sich unter Druck gesetzt, die „frohe Botschaft“ sofort in den Sozialen Netzen zu posten. Dann prasseln postwendend Glückwünsche auf die jungen Eltern ein, und sie glauben, darauf reagieren zu müssen. Aber diese ersten Momente sind nicht nur einmalig, sie sind auch wichtig für die erste Bindung. Selbst wir Hebammen ziehen uns in dieser intimen Situation in den Hintergrund zurück. Da liegt ein winziger Mensch: euer Kind, euer persönliches Wunder. Babys sind auch noch Stunden nach der Geburt so süß und einzigartig, dass sich alle auch später über die Nachricht und erste Bilder freuen werden.
Ich erinnere mich, dass ich bei den Geburten meiner Kinder sehr dankbar war für klare Ansagen von den Hebammen. Können Sie und Ihre Kolleginnen nicht einfach sagen: Weg mit den Handys?
Sie dürfen nicht vergessen, dass ein großer Teil der Geburt außerhalb des Kreißsaals stattfindet. Da müssen die Paare mit den Wehen und mit ihrem Social Media Konsum selbst klarkommen. Hebammen betreuen in der Regel zwei oder drei Gebärende und schauen nur manchmal vorbei. Erst wenn die Geburt kurz bevor steht und die Presswehen einsetzen, sind Geburtshelfer die ganze Zeit präsent.
Wie sollte ein Paar am besten die langen Stunden der Geburt angehen?
Ich halte es für elementar, dass man sich mental auf die Geburt einstellt, indem man sich vorstellt, wie man dem Baby helfen kann, auf die Welt zu kommen. Allein durch seine Gedankensteuerung kann man dazu beitragen, dass der Geburtsprozess vorangeht. Der zweite wichtige Faktor ist, dass Frauen eine gute Atemtechnik anwenden. Dadurch versorgen sie sich selbst, aber auch das Baby mit ausreichend Sauerstoff. Die Sauerstoffversorgung hilft gegen den Stress, sie stärkt Muskulatur und Gebärmutter, und sie hält den Kreislauf stabil. So sind Frauen in der Lage, obwohl es so wahnsinnig wehtut und sie am liebsten vor Schmerzen weglaufen würden, ihren Körper locker zu halten und Platz für das Baby zu schaffen.
Was kann der Mann tun?
Er kann helfen, dass die Frau sich in den Wehenpausen maximal entspannt und Kraft sammelt für die nächste Kontraktion. Zum Beispiel, indem er ihr den Rücken massiert oder sie anregt, mal die Position zu wechseln. In den Vierfüßlerstand zu gehen, aufzustehen und zu laufen. Bewegung schafft Platz für das Baby. Das funktioniert nicht, wenn er am Smartphone beschäftigt ist und die Frau gar nicht wahrnimmt.
Lernt man so etwas nicht mehr in den Geburtsvorbereitungskursen?
Doch, natürlich. Ich glaube, dass Frauen und auch viele Männer versuchen, sich optimal auf eine Geburt vorzubereiten. Die Frage ist nur, ob sie es schaffen, sich dann auch optimal auf die Geburt einzulassen. Viele nutzen zum Beispiel Wehentracker-Apps. Das zieht Paare dann rein in die Smartphone-Nutzung während der Geburt. Die Frauen halten sich an Messwerten fest, anstatt auf das eigene Gefühl zu achten. Aber eigentlich sind die Apps Blödsinn, sie messen nur den Zeitabstand zwischen den Wehen, nicht die Wehenqualität.
Was empfehlen Sie werdenden Eltern?
Mein Appell wäre, dass Paare die Dinge, die sie im Geburtsvorbereitungskurs lernen, so verinnerlichen, dass sie während der Geburt ganz ohne Apps und Handynotizen auskommen.