SUV-Coupé mal anders: Der Polestar 4 verzichtet auf eine Heckscheibe und will sich damit Vorteile verschaffen. Doch wie sehr fehlt der Rundumblick im Alltag? 

SUV-Coupé mal anders: Der Polestar 4 verzichtet auf eine Heckscheibe und will sich damit Vorteile verschaffen. Doch wie sehr fehlt der Rundumblick im Alltag? 

Hätte an diesem Sonntag nicht der HSV gespielt und hätten die Polizeibeamten nicht Wichtigeres auf dem Zettel gehabt, es wäre bei der Testfahrt durch Hamburg wohl zu einer Verkehrskontrolle gekommen. Ein Auto ohne Heckscheibe? Wo gibt es denn so was! Klar, Transporter haben auch keinerlei Sicht nach hinten, aber es sind eben auch kleine Lastwagen. Der Polestar 4 sticht aus der Masse hervor. Das SUV-Coupé ist mächtig schnittig und kommt ohne Heckscheibe aus. Wer nach hinten schaut, sieht nichts.

Der Hersteller hat sich dabei etwas gedacht: Denn ein Coupé, erklärt Polestar, ist eigentlich immer ein Kompromiss. Entweder fehlt es an Kopffreiheit im Fond, da die Dachlinie nach hinten gezogen wird, oder das Heckfenster wird sehr klein. Der Verzicht auf die Scheibe hingegen hatte bei der Entwicklung des Polestar 4 den Vorteil, dass die C-Säule versetzt, das Panoramadach verlängert und der Abfall der Dachlinie weiter nach hinten verortet werden konnte. Das Resultat: deutlich mehr Platz in der hinteren Reihe.

Im Test zeigt sich: das stimmt. Der Polestar 4 ist mit seinen 4,84 Metern ohnehin kein kleines Auto, durch die besondere Bauweise wirkt der Innenraum aber wahrlich gigantisch. Auf der Rückbank finden Erwachsene auch auf langen Touren genug Platz, die Beinfreiheit ist üppig. Mehr noch: Dadurch, dass hinten kein Licht einfällt, wirkt die Rückbank merkwürdig gemütlich.

Ich sehe was, was du nicht siehst

Der Fahrer bezahlt diesen Freiraum aber mit Übersicht. Wer den Schulterblick macht, stößt damit an das verschlossene Heck. Das sorgt insbesondere auf den ersten Metern für eine gewisse Unsicherheit, vor allem bei innerstädtischen Kreuzungen mit Fahrradverkehr in Fahrtrichtung. Erst, wenn man sich an den digitalen Rückspiegel und die Kameras am Auto, die sich auf dem mittleren Display befinden, gewöhnt hat, wird es langsam besser. Im Testzeitraum hat die Zeit jedenfalls nicht gereicht, um sich vollständig damit anzufreunden. Immer wieder wandert der Blick gegen die Rückwand.

Platz satt: Das Raumangebot im Polestar ist wirklich üppig. Die Materialien sind auf Wunsch vegan, trotzdem wirkt alles sehr hochwertig und aus einem Guss
© Polestar

Polestar hätte wohl problemlos doch ein kleines Fenster einbauen können, dann wäre aber das Alleinstellungsmerkmal des Wagens futsch. Und tatsächlich wäre dafür nicht viel Platz gewesen, daher könnte es tatsächlich stimmen, dass durch die Kamera für den Rückspiegel letztlich mehr zu sehen ist. Wer sich sorgt, dass die Sicht nachts oder bei sehr schlechtem Wetter eingeschränkt sein könnte, irrt: In beiden Szenarien konnte die Kamera, die durch ein kleines Dach vor der Witterung geschützt ist, überzeugen. Bei Schnee müsste sie freigelegt werden – eine Heckscheibe aber auch.

Polestar bestätigt auf Nachfrage, dass das Bild im virtuellen Rückspiegel von mehreren Kameras stammt. Der Ausfall einer Kamera sollte demnach nicht zum Verlust der Sicht führen – ein wichtiger Punkt, wenn man sich auf die Technik so sehr verlassen muss. Was auch nicht mehr geht: Lässt Sie jemand im Reißverschluss vor, bringt das dankende Heben der Hand absolut gar nichts – niemand sieht Sie von hinten. Eine Möglichkeit in diesem Fall: Blinker schnell rechts-links, so bedanken sich auch Lkw- und Busfahrer.

Einziges echtes Manko des überaus wichtigen Spiegels: Wer bei Dunkelheit fährt, wird es erleben, dass die Ambientebeleuchtung des Dachhimmels darin reflektiert. Hier wären weniger LEDs – oder keine – vielleicht besser gewesen. Wer übrigens einen Blick auf die Rückbank werfen will, kann das durch einen Hebel am Spiegel machen – dann schaltet sich das Display aus.

Der einzige Blick zurück: Der digitale Rückspiegel filmt permanent nach hinten und gewährt Sicht auf das, was das scheibenlose Heck verdeckt
© Polestar

Viel Platz im vorwiegend edlen Innenraum

Weniger Beleuchtung würde auch zum minimalistischen Innenraum passen, den Polestar sehr edel gestaltet hat. Die Verarbeitung im Polestar 4 ist tadellos und auf Wunsch aus veganen Materialien zu haben. Lediglich ein Mangel an haptischen Knöpfen fiel im Test negativ auf. Entweder bedient man die zahllosen Fahrzeugfunktionen per Touch auf dem großen Display in der Mitte oder es werden die touch-sensitiven Klavierlacktasten am Lenkrad genutzt, deren Bedienung wirklich nicht angenehm ist. Selbst das Technologie-Unternehmen Polestar dürfte sich gerne ein Vorbild an Volkswagen nehmen und echte, haptische Tasten verwenden. Alles andere ist Gefummel.

Generell sind die Menüs der Fahrzeugbildschirme etwas gewöhnungsbedürftig. Aber: Hard- und Software reagieren schnell, die Anbindung eines Smartphones ist vorbildlich gelöst. Wer mit dem Fahrzeug-Navi Strecken plant, greift im Polestar 4 auf Google Maps zurück – hier werden auch Ladesäulen bei längeren Strecken zuverlässig eingeplant. 

Ein schöner Rücken kann auch entzücken: Auch wenn der Wegfall der Heckscheibe ungewohnt ist, ist das Ergebnis wirklich schick anzusehen
© Polestar

Gepäck kann der Polestar 4 gut wegstecken. Der Kofferraum misst 526 Liter, wer die Rückbank umklappt, hat 1536 Liter Platz. Unter dem Stauraum befinden sich nochmals 31 Liter in einer Plastikwanne, der vordere Stauraum (Frunk) bietet 15 Liter Ladevolumen. Das ist gerade genug für das Kabel.

Leider liegt dem Wagen kein herkömmlicher Schlüssel bei, was das Öffnen von Kofferraum und Frunk aus der Ferne unmöglich macht. Besonders beim Frunk ist das ärgerlich, denn dessen Öffnung geschieht mithilfe des Hebels zum Entriegeln der Motorhaube im Fußraum des Fahrers. Das ist für so ein futuristisches Auto schon fast merkwürdig oldschool.

Das Fahren im Polestar 4 macht Laune. Die Assistenzsysteme arbeiten sauber und der gesetzlich vorgeschriebene, deswegen aber nicht minder lästige Geschwindigkeitswarner lässt sich mit nur einem Knopfdruck lahmlegen. Bei langen Fahrten hilft ein Abstandstempomat mit Spurwechselassistent, die Bedienung ist selbsterklärend. Die Schildererkennung leistete sich im Test ein paar Schwächen, damit ist Polestar aber bedauerlicherweise nicht alleine. 

Elektroauto 14.55

Für den Test stand ein Polestar 4 Long Range Dual Motor zur Verfügung, der auf 544 PS und Allrad zurückgreift. In 3,8 Sekunden geht es damit auf 100 km/h, Schluss ist bei 205 km/h laut Tacho. Zum schnellen Fahren eignet sich der Wagen aber nur bedingt. Erstens wird es ab 160 ziemlich laut im Innenraum, zweitens spielt der Tempomat nur bis 130 km/h mit.

Ein Elektroauto mit guter Reichweite und ordentlicher Ladeleistung

Die Ladeleistung für den großen 100-Kilowattstunden-Akku ist ordentlich. Von 10–80 Prozent ging es an der 300-Kilowatt-Ladesäule in exakt 30 Minuten, die höchste Ladeleistung betrug 208,3 Kilowatt, im Durchschnitt zog der Wagen 142,1 Kilowatt durchs Kabel. Mit einem 800-Volt-Batteriesystem hätte der Hersteller hier noch mal 10 Minuten gewinnen können, zumal der Preis des Testwagens in Höhe von 65.900 Euro reicht, um bei der Konkurrenz, bessere Technologie zu bekommen. Schade, aber bei der Leistung dennoch kein Beinbruch.

Die Ladekurve des Polestar 4: Bei exakt 79 Prozent schloss sich ein weiterer E-Auto-Fahrer an, weshalb es zu dem sichtbaren Dip kam. Bis dahin lud der Wagen mit durchschnittlich 142,1 Kilowatt, die maximale Leistung betrug 208,3 Kilowatt
© Christian Hensen

Der Reichweitentest fand bei winterlichen neun Grad Außentemperatur statt. Das ist wichtig zu erwähnen, da sich Kälte auf Elektroautos recht merklich auswirken kann. Gemessen wurde ein Verbrauch von etwa 21–22 Kilowattstunden auf 100 Kilometer, was zu einer Reichweite von etwas mehr als 400 Kilometern führt. Das ist für den Winter recht ordentlich, im Sommer bestünde vielleicht tatsächlich die Möglichkeit, sich den 500 Kilometern zu nähern. Das aber nur, wenn der Fahrer nicht auf dem Beschleunigungspedal steht. Wird der Polestar 4 an seine Grenzen gebracht, sind nach weniger als 200 Kilometern die Reserven aufgebraucht. Das ist aber ein Extremfall. Kein Elektroauto mag es, schnell fahren zu müssen.

Gute Nachrichten gibt es übrigens für Menschen mit Anhänger: Für 1720 Euro bietet der Polestar 4 eine elektrisch klappbare Anhängerkupplung, die maximale Zuglast für das Long-Range-Modell mit Dual Motor liegt bei zwei Tonnen. Das kleinere Modell schafft 1,5 Tonnen. Wie sich das auf die Reichweite auswirkt, konnte nicht getestet werden, erfahrungsgemäß macht sich ein beladener Hänger aber deutlich bemerkbar. Immerhin gibt es immer mehr Schnelllader, die für Gespanne ausgelegt sind.

Fazit: Polestar 4

Der Polestar 4 ist ein futuristisches und sehr schönes Fahrzeug. Die fehlende Heckscheibe macht den Wagen nicht nur einzigartig, sondern erlaubt trotz der sportlichen Silhouette genug Platz für alle Passagiere. An den virtuellen Rückspiegel muss man sich sehr gewöhnen, eine kleine Scheibe hätte vielleicht doch nicht geschadet. Nach einer kurzen Gewöhnungsphase dürfte die aber kaum noch vermisst werden. 

Das Platzangebot im Auto ist riesig, die Verarbeitung auf einem hohen Level. Klavierlack auf dem Lenkrad hätte nicht sein müssen, generell wäre eine Handvoll „echte Knöpfe“ ganz schön gewesen. Insgesamt bietet Polestar aber ein hochwertiges Fahrzeug.

Porsche Macan Test 18.10

Die Fahrleistungen unterstreichen das, die große Batterie lädt für die verbaute Technologie recht schnell, die Reichweite ist gut. Für die meisten Interessenten dürfte die Single-Motor-Variante reichen, wer allerdings richtig schnell vom Fleck kommen möchte, ist mit dem Dual-Motor-Modell bestens beraten. Allerdings gilt: Die höchste Reichweite bietet der Polestar 4 mit einem Motor.

Der Preis ist, wie bei den meisten Elektroautos, schmerzhaft. Für den Polestar 4 werden mindestens 57.900 Euro fällig. Für Fahrzeuggröße und -leistung ist das konkurrenzfähig, aber der Tesla Model Y liegt doch noch ein ganzes Stück darunter. Ein genauer Vergleich bietet sich also an, wenn es ein elektrisches SUV-Coupé werden soll.