Die erfolgreichste Schauspielerin der vergangenen Jahre zeigt ihr wahres Können: über den Auftritt von Zoe Saldana im Drogenkrimi „Emilia Pérez“.
Was die Kinokassen angeht, spielt sie in ihrer eigenen Liga. Zoe Saldaña war in Bestseller-Filmreihen wie „Avatar“, „Avengers“, „Guardians of the Galaxy“ und „Star Trek“ zu sehen. Seit 2023 ist Saldaña die erste und bisher einzige Person, die in vier Filmen mit einem Einspielergebnis von jeweils mehr als zwei Milliarden Dollar mitgewirkt hat.
Doch so stark und vielseitig wie in Jacques Audiards unkonventionellem Musical-Crime-Drama „Emilia Pérez“ über einen transsexuellen mexikanischen Drogenbaron hat man die Schauspielerin noch nie gesehen. Bei der Weltpremiere auf dem Filmfestival von Cannes gab es im Mai elf Minuten lang stehende Ovationen und später – gemeinsam mit ihren Ensemble-Kolleginnen Karla Sofía Gascón, Selena Gomez und Adriana Paz – den Preis für die beste Darstellerin. Längst ist Saldaña im Gespräch für eine Oscar-Nominierung.
„Ich finde es unfassbar spannend, solche Erfahrungen zu machen“, sagt die 46-Jährige im Videointerview in Los Angeles über ihren Abstecher in das Autorenkino des für seine kreative Risikofreudigkeit bekannten französischen Regisseurs Audiard. „Aber im Grunde ist es für mich egal, in was für einer Verpackung ein Film daherkommt, ob als Blockbuster oder kleiner Indiefilm, französisch oder mexikanisch, Musical oder Science-Fiction. Die Art und Weise, wie wir ‚Avatar‘ gedreht haben und wie ‚Emilia Pérez‘, ist eigentlich sehr ähnlich. Es geht darum, einzigartige Geschichten zu erzählen.“
Musical-Thriller trifft queeres Drama
„Emilia Pérez“ ist ein bildstarker und energiegeladener Film, der Themen wie Identität, Verwandlung und Inkarnation erforscht und dabei alle Genregrenzen ignoriert. Die spanischsprachige Netflix-Produktion ist Musical, Crime-Thriller und queeres Drama in einem. Wenn die ganze Welt ohnehin eine Bühne ist, scheint sich Jacques Audiard gedacht zu haben, warum dann nicht das von Gewalt gepeinigte Mexiko? Warum nicht ein Musical in der Welt der Kartelle, in der seine Figuren nach Auswegen suchen? Und warum nicht einen der brutalsten Drogenbosse in eine Frau verwandeln?
Zoe Saldaña spielt die mexikanische Strafanwältin Rita Moro Castro: ambitioniert, überarbeitet, vom Chef ihrer Kanzlei kleingehalten, ausgenutzt und desillusioniert hinsichtlich einer ehrbaren Karriere in einer korrupten Männerwelt. Bis sich eine Möglichkeit bietet, ihr Leben zu verändern. Sie soll dem gefürchteten Kartellboss Juan „Manitas“ Del Monte gegen großzügige Bezahlung helfen, aus dem Drogengeschäft auszusteigen und unterzutauchen.
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Manitas’ Plan und lebenslanger Traum: Er will sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen, um fortan als Frau weiterzuleben. Der neue Name: Emilia Pérez – gespielt von der spanischen Transgender-Schauspielerin Karla Sofía Gascón.
Audiards kreativer Rundumschlag ist kein klassisches Musical, eher eine moderne Kino-Oper, „im Geiste von Bertolt Brecht und Kurt Weill“, wie der Regisseur im Interview erklärt. Hochemotional, groß inszeniert, alles ein bisschen drüber, aber scharfsinnig die Lebenswelten seiner Figuren sezierend. Die Songs sind Teil seiner Geschichte, Musik und Text ineinander verwoben.
Das deutet sich schon in der Eröffnungsnummer mit Zoe Saldaña an: In der traumartigen Sequenz geht eine reale Straßenszene über in eine artifiziell beleuchtete, mit zackigen Bewegungen durchchoreografierte Tanznummer. Saldaña singt und rappt dazu einen wilden, wütenden Track über Gewalt, gekaufte Urteile und durchtrennte Kehlen. Später im Film treibt sie die Intensität in der furiosesten Musicalnummer „El Mal“ noch weiter.
Zoe Saldana in „Emilia Pérez“ auf Netflix
© Neue Visionen Filmverleih / Wild Bunch
Zoe Saldana wird endlich zum Schmetterling
Zoe Saldaña hat Erfahrung: Als junge Frau hat sie in Musiktheaterproduktionen und ihrem ersten Film „Center Stage“ (2000) gesungen und getanzt. Erst jetzt kommt dieses Talent wieder zum Einsatz. Noch mehr gereizt habe sie aber, dass ihre Figur Rita nicht nur Mitwisserin der zentralen Neuerfindung sei, sondern auch ihre ganz eigene Verwandlung durchmache. „Rita ist für mich wie ‚Der talentierte Mr. Ripley‘. Eine schüchterne Frau mit unausgesprochenen Bedürfnissen, die sich wünscht, jemand anderes zu sein. Eine Raupe, die der beste Schmetterling werden will, der sie sein kann.“ Man kommt nicht umhin, ein wenig davon auch in Saldañas Karriere hineinzulesen: dass erst ein Film wie „Emilia Pérez“ ihr die Möglichkeit gibt, sich in ihrer ganzen Bandbreite zu entfalten.
Es ist einer der stärksten Auftritte ihrer Karriere, kraftvoller noch als ihre Leinwandeinsätze als Superheldin. Es ist außerdem ihre erste große Rolle auf Spanisch. Saldaña, deren Eltern aus der Dominikanischen Republik und Puerto Rico stammen, sagt, dass sich die Gelegenheit, ihre Zweisprachigkeit vor der Kamera einzusetzen, bisher nie geboten habe.
„Ich habe in meiner Karriere unglaublich tolle Möglichkeiten bekommen und bin stolz auf alles, was ich gemacht habe: Ich bin gerne ins Weltall geflogen, grün und blau gewesen (in ‚Guardians of the Galaxy‘ und ‚Avatar‘, Anm. d. Red.). Aber ich habe mich auch nach dieser Art der Verbindung gesehnt.“
Sängerin Selena Gomez (l.) entdeckt wie auch Saldana in „Emilia Pérez“ neue Seiten an sich
© UPI / laif
Ähnlich ergingt es Sängerin und Schauspielerin Selena Gomez, die in einer Nebenrolle zu sehen ist: als Jessi, Ehefrau des Drogenbosses, die nicht länger will, dass andere über ihr Leben bestimmen. Der ehemalige Disney-Star, mittlerweile 32, erzählt im Interview: „Ich habe lange für eine Rolle wie diese gebetet. Etwas komplett Neues, das mich herausfordert.“ Gomez sagt, sie sei in einer mexikanisch-amerikanischen Familie zwar spanischsprachig aufgewachsen, habe die Sprache aber nach dem Einstieg in die Unterhaltungsbranche nach und nach verloren.
„Emilia Pérez“ ist ein Film über stolze Frauen und die Kraft der Verwandlung. Jede will auf ihre Weise die Vergangenheit abschütteln. Zoe Saldaña sagt: „Frauen haben unterschiedliche Wege, ihre Freiheit zu erreichen, und das muss gewürdigt werden – unabhängig davon, wer sie sind. Wie die Frauen im Film, die unsichtbar sind, die geächtet und verurteilt werden, aber alle ihre eigene Version von Freiheit verdienen.“