Hat die FDP über Wochen gezielt auf den Bruch der Ampel-Regierung hingearbeitet? Die Liberalen bestreiten das. Ein internes Papier lässt andere Deutungen zu – die Parteispitze ringt um Erklärungen.
Ein detailliertes Papier der FDP zum Ausstieg aus der Ampel-Koalition bringt die Parteiführung in Erklärungsnot und stößt auch bei Liberalen auf Kritik. FDP-Präsidiumsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagte der Deutschen Presse-Agentur, angesichts der Situation in der Regierung sei es zwar richtig gewesen, sich mit Ausstiegsszenarien auseinanderzusetzen. Aber: „Die Wortwahl ist der Sache nicht dienlich, eine Verschriftlichung mit dieser Tonalität nicht nachvollziehbar.“ Sie forderte Selbstkritik und Aufarbeitung, wie sie später auch noch einmal auf X betonte. Bei den früheren Koalitionspartnern SPD und Grüne löste das „D-Day“-Papier große Empörung aus.
Die FDP hatte das achtseitige Dokument im Stil einer Powerpoint-Präsentation am Donnerstag selbst veröffentlicht, nachdem das Nachrichtenportal „Table.Briefings“ bereits darüber berichtet hatte. Zuvor hatte eine Recherche der „Zeit“ schon große Diskussionen über Ursachen und Urheber des Koalitionsbruchs ausgelöst. In mehreren Treffen der engsten FDP-Führung wurden demnach seit Ende September Szenarien für ein Ende der Koalition durchgespielt.
Strategiepapier beschreibt Ablaufszenarien zum „D-Day„
Das nun veröffentlichte FDP-Papier stieß nicht nur wegen seines Inhalts, sondern auch wegen der Wortwahl auf Kritik. In dem Dokument taucht der durch den Zweiten Weltkrieg historisch vorgeprägte Begriff „D-Day“ mehrfach auf – als Synonym für den möglichen Zeitpunkt zum Ausstieg aus der gemeinsamen Regierung mit SPD und Grünen.
„D-Day“ kann aus dem Englischen mit „Tag X“ übersetzt werden – oder auch „Tag der Entscheidung“ meinen. Im Deutschen ist die Formulierung vor allem im Zusammenhang mit der Landung der Alliierten in der Normandie zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus bekannt. Den Auftakt dafür markierte der „D-Day“ am 6. Juni 1944. Er steht aber auch für unmenschliches Blutvergießen, Zehntausende Tote und Verwundete.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hatte in einem Interview bei RTL/ntv am 18. November mit Blick auf damalige Medienberichte über die „D-Day“-Formulierung betont: „Das stimmt nicht. Dieser Begriff ist nicht benutzt worden.“ Nach der Veröffentlichung des FDP-Papiers bemühte er sich nun in der „Welt“ um Schadensbegrenzung: „Das Papier ist auf Ebene der Mitarbeiter entstanden. Niemand aus der Führung der FDP kannte das Papier.“ Einen Grund zurückzutreten, sehe er nicht.
Kritik und Spott gab es in sozialen Medien auch für das vielfach geteilte Bild einer „Ablaufpyramide“ aus dem Dokument. Darin werden die vier verschiedenen „D-Day“-Phasen vom ersten „Impuls“ – einem Presse-Statement des Parteivorsitzenden Christian Lindner – bis hin zum „Beginn der offenen Feldschlacht“ genannt.
SPD fordert Entschuldigung
Auch bei den früheren Koalitionspartnern löste das Papier Empörung aus. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch warf der FDP-Führung vor, die Öffentlichkeit wiederholt getäuscht zu haben und forderte eine Entschuldigung von Lindner. Miersch sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), es sei „zynisch“, dass die FDP für den Zeitpunkt des Ampel-Bruchs in ihrem Papier das Wort „D-Day“ benutzt und den nachfolgenden Wahlkampf als „offene Feldschlacht“ bezeichnet habe. „Die FDP-Führung hat die Verwendung dieser Begriffe stets bestritten.“
SPD-Chef Lars Klingbeil schrieb auf der Plattform X: „Es ist gut, dass langsam alles herauskommt und die Bürger sich ein Bild machen können.“ Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann äußerte ebenfalls Kritik auf X: „Ein Parlament ist kein Schlachtfeld, und das Ringen um die besten Ideen und Konzepte gehört zu unserer lebendigen Demokratie. Diese FDP sollte keine Verantwortung für unser Land übernehmen.“
FDP spricht von „Vorbereitung auf Szenarien“
Die FDP verbreitete die Lesart, sie habe das Papier publik gemacht, um Transparenz herzustellen – und schrieb auf X: „Wir haben nichts zu verbergen.“ In einer dazu veröffentlichten Erklärung Djir-Sarais hieß es: „Wir haben niemals ein Geheimnis daraus gemacht, dass ohne eine Wirtschaftswende ein Ende der Ampel ein möglicher Ausgang des von uns so genannten Herbstes der Entscheidungen sein könnte.“ Er sprach von einer Skandalisierung der Vorbereitung auf Szenarien. „Wenn die gesamte deutsche Medienlandschaft zu diesem Zeitpunkt bereits über das Ende der Ampel spekulierte, dann ist es nur professionell, sich auf diese Option einzustellen.“
Im nun veröffentlichten Papier ist zum Beispiel davon die Rede, dass der „ideale Zeitpunkt“ für einen „avisierten Ausstieg“ aus der Koalition zur Mitte der 45. Kalenderwoche zwischen dem 4. und 10. November liegen könnte. Am 6. November kam es tatsächlich zum Bruch des schon lange kriselnden Bündnisses – indem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einer Sitzung des Koalitionsausschusses FDP-Chef Lindner als Finanzminister entließ.
Die Neuwahl des Bundestags ist für den 23. Februar nächsten Jahres geplant. Die FDP steht in Wahlumfragen derzeit bei drei bis vier Prozent, also knapp unter der Einzugshürde von fünf Prozent – und könnte somit den Wiedereinzug ins Parlament verpassen.