Olaf Scholz soll die SPD in den Bundestagswahlkampf führen – nach einer quälend langen Diskussion um seine Erfolgsaussichten. Alles wieder gut? Abwarten.

Olaf Scholz soll die SPD in den Bundestagswahlkampf führen – nach einer quälend langen Diskussion um seine Erfolgsaussichten. Alles wieder gut? Abwarten.

Als wäre nichts gewesen: Um 13.34 Uhr setzt sich die Karawane in Gang, schreitet die Treppen ins Atrium des Willy-Brandt-Hauses hinab. Vorneweg der Kanzler, dahinter der vielköpfige SPD-Parteivorstand, von dem Olaf Scholz soeben zum Kanzlerkandidaten nominiert wurde. Normalerweise eine reine Formalität, kaum der Rede wert. An diesem Montagmittag aber gleicht die Kandidatenkür einem kleinen Happening in der Berliner Parteizentrale. Schließlich war lange Zeit unklar, wer genau für die SPD vorneweg gehen soll – und ob es die Partei in dieser Frage zerreißt. 

Die SPD spielt Normalität vor. Doch normal ist hier noch lange nichts. 

„Schönen Dank für die Entscheidung, die heute der Parteivorstand getroffen hat“, sagt Scholz. Das ist recht Scholz-typisch für: Ich freue mich. „Das ist ein sehr klares, ein sehr einvernehmliches Votum“, schiebt der Kanzler hinterher, als müsste er das nochmal betonen. Muss er. 

Tatsächlich wurde Scholz einstimmig als Kanzlerkandidat nominiert. Auch das hätte kaum Nachrichtenwert, wäre da nicht diese quälend lange Debatte gewesen. Ob das nochmal gut geht mit ihm, dem gescheiterten Ampel-Kanzler mit bescheidenen Beliebtheitswerten. Ob nicht Boris Pistorius, der schwer populäre Verteidigungsminister, der vielversprechendere Kandidat wäre. Ob sich die lauten Rufe aus der Basis und Bundestagsfraktion, die den eigenen Kanzler öffentlich infrage stellten, überhaupt wieder einfangen lassen.

Für Scholz stellen sich diese Fragen angeblich nicht, jedenfalls nicht mehr. Die SPD habe „gemeinsam innegehalten“, schminkt der Kanzler die Verwerfungen der letzten Wochen schön. Nun habe man gemeinsam beschlossen, geschlossen den Wahlsieg am 23. Februar anzugehen. Ob er sich da nicht zu früh freut?

Olaf Scholz: „Die eigentliche Geschichte ist, dass…“

Die im Willy-Brandt-Haus versammelte Führungsriege der SPD versucht jede Restzweifel daran zu zerstreuen. Es wird viel gelächelt, solidarischer Szenenapplaus gespendet. Während die SPD-Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken dem „richtigen Mann“ fürs Kanzleramt die Bühne bereiten, präsentieren sich Scholz und Pistorius in demonstrativer Eintracht. Schäkern, schwätzen, schmunzeln über die Fotografen, die vor ihnen herumrutschen. Als hätte es sich um ein großes Missverständnis gehandelt. Rivalen, wir? Nee.

Die Diskussionen „über solche Sachen“, sagt Scholz, bestünden „manchmal aus vielen Geschichten“. Welche Geschichten er damit meint, sagt Scholz nicht. „Die eigentliche Geschichte ist, dass wir seit sehr, sehr langer Zeit befreundet sind.“ Damit meint er Pistorius, den Scholz aufgrund seiner Kompetenz und „unserer Freundschaft“ ins Kabinett geholt habe. Nun wolle man gemeinsam diesen Wahlkampf führen und auch gewinnen. Der Parteivorstand klatscht, Pistorius auch.

Die vielen Wortmeldungen aus der SPD – gegen ihn und für Pistorius – kann Scholz damit freilich nicht wegwischen. Zumal sich an der Ausgangslage für ihn und die SPD nichts verändert hat. Scholz mag zwar „vielfältige Regierungsverantwortung“ mitbringen, wie Co-Chef Klingbeil hervorhebt, auch „prinzipienfest“ und „entschlossen“ sein. Klammer auf: Im Gegensatz zu CDU-Chef Friedrich Merz. Doch der Erzählung des anpackenden Kanzlers können in den kommenden Wochen und Monaten kaum Belege zugefügt werden.

Scholz und die paralysierte SPD 18.23

Scholz hat nach dem Ampel-Aus keine eigene Mehrheit im Parlament, ist auf Hilfe der Opposition angewiesen, die keine Gesetze durchwinken wird, die ihm als Wahlkampfschlager dienen könnten. Am 16. Dezember wird Scholz‘ Scheitern als Mittler zwischen den verkrachten Koalitionspartnern auch offiziell verbrieft sein – dann wird der Kanzler die Vertrauensfrage stellen und voraussichtlich verlieren. Ob das alles Aufwind gibt, ist fraglich. In den Umfragen zeigt der Weg nach unten: 14 bis 16 Prozent. Die Union, der selbsterklärte Hauptgegner der SPD, liegt teils 22 Punkte vorne. Nicht mal in Schlagdistanz.  

Und viele Gelegenheiten, das missliche Standing zu drehen, bieten sich erstmal nicht. Nach der Vertrauensfrage verabschiedet das Parlament bestenfalls noch ein paar Gesetze, die keinen Aufschub dulden, verschwindet dann aber in die Winterpause. Während im Fernsehen die ersten Jahresrückblicke ausgestrahlt werden, in denen zu sehen sein wird, wie sich die Ampel-Koalition bis zum Bruch zerlegt hat – weniger, wie Scholz versuchte, das alles zusammenzuhalten, wie er sagt. 

Schließlich der 11. Januar, SPD-Parteitag, auf dem Scholz‘ Kandidatur bestätigt werden soll. Auch eine Formsache, eigentlich. Doch Scholz wird sich mindestens an seinem Ergebnis von Mai 2021 (96,2 Prozent) messen lassen müssen. Und wer kann schon ausschließen, dass der Konflikt um die K-Frage nicht wieder aufbricht, sollte die SPD bis dahin weiter in den Umfragen abrutschen? 

Der Sowohl-als-auch-Kanzler

Scholz glaubt das nicht. In der SPD pflege man eine „solidarische Kultur“, sagt er in der Parteizentrale, in der man „immer mal diskutieren kann, wie ist es richtig, die Dinge zu tun und dann sich zusammenfasst.“ Auch diejenigen, die sich kritisch über ihn geäußert hätten, „stehen hinter mir und hinter dieser Entscheidung“, meint Scholz. Er habe mit allen diskutiert. Der Kanzler lässt durchblicken, dass auch er selbst sich hinterfragt habe – ein bisschen. Man würde ihn jedenfalls falsch kennen, sagt er, wenn man glaubte, dass er sich diese Frage nicht immer wieder gestellt habe. Gemeint: Sollte ich nochmal antreten? 

Das konnte Scholz für sich offenkundig bejahen, zuletzt auch die SPD-Führung. Mit dem Slogan „Wir kämpfen für…“ will sie nun in den Winterwahlkampf ziehen, ergänzt durch Ziele wie „deine Zukunft“ oder „Deutschland“. Die Kernthemen der Kampagne: Frieden und Sicherheit, bessere Löhne, Investitionen in die Zukunft, stabile Renten – klassische SPD-Themen, keine Überraschungen. 

Scholz-Pistorius-Komm 23.30 Uhr

Vor allem aber keine Gegensätze, lautet die zentrale Botschaft vom Kandidaten Scholz. Man müsse rauskommen aus dem „verhängnisvollen Entweder-oder“, sagt er. Mehr für innere und äußere Sicherheit, dafür aber weniger für Gesundheit und Pflege – das werde es mit ihm nicht geben. Beides müsse möglich sein. Scholz, der Sowohl-als-auch-Kanzler.  

Zwei Themen hebt er besonders hervor. Erstens: „Bei der nächsten Bundestagswahl wird entschieden, ob es eine stabile Rente gibt oder nicht.“ Wer auf die SPD setze, könne sich sicher sein, dass diese Frage nicht vergessen werde. Zweitens: Deutschland lasse die Ukraine nicht im Stich in ihrem Abwehrkampf gegen Russland, werde das angegriffene Land weiterhin unterstützen. Doch habe er auch „standfest“ dafür gesorgt, betont Scholz, dass „keine falschen Entscheidungen“ getroffen würden. Der Lieferung des „Taurus“-Marschflugkörpers oder der Aufhebung von Reichweitenbeschränkungen für deutsche Waffen erteilt er erneut eine Absage. Scholz, der Ein-bisschen-Frieden- Kanzler. 

Pistorius, der robuste Verteidigungsminister, schaut in diesem Moment nachdenklich zu Boden. Dann richtet er seinen Blick wieder auf Scholz, den Kanzlerkandidaten.