Hansi Flick, der deutsche Trainer des FC Barcelona, ist mit seiner Mannschaft nicht nur überraschend gut in die Saison gestartet. Die Katalanen sind geradezu verliebt in ihn.

Hansi Flick, der deutsche Trainer des FC Barcelona, ist mit seiner Mannschaft nicht nur überraschend gut in die Saison gestartet. Die Katalanen sind geradezu verliebt in ihn.

„Da! Da sitzt Hansi drin!“ Das graue Auto wird sofort von einem Schwarm Fans verfolgt. Es sind vor allem Kinder und Jugendliche, die in der Nähe des Trainingsgeländes vom FC Barcelona ohne Schirm im Regen ausgeharrt haben. Die Spieler sind längst abgerauscht, aber der Trainer deutet durch die Seitenscheibe auf eine nahegelegene Bushaltestelle. „Let’s go this way“, sagt Hansi Flick beim Aussteigen, „da entlang“ und dirigiert die Fans unter das Dach, damit sie ihre Autogramme im Trockenen bekommen. 

Das Video dieser Szene verzauberte Ende September die ganze Stadt. Mal wieder, könnte man sagen, denn im Netz kursieren noch eine ganze Reihe anderer Handyschnipsel und Anekdoten über den deutschen Trainer. Flick wie er einen Fan mit Halskrause nach seinem Befinden fragt, Flick, der sich mit Kellnern fotografieren lässt, Flick und der Reporter, der ihm in einer Pressekonferenz ein Hustenbonbon gegeben hatte, und dafür beim nächsten Mal gleich einen Schwung von ihm zurückbekommt. „Sehr nahbar“ sei dieser Flick, schrieb die Tageszeitung „La Vanguardia“ vergangene Woche mit einigem Erstaunen. 

Das hat es in der Geschichte von Barça noch nie gegeben

Denn das hatten die Katalanen von einem Deutschen eher nicht erwartet, und danach sah es zunächst auch nicht aus. Der 59-Jährige war bereits Ende Mai als Nachfolger der zuletzt glücklosen Vereinsikone Xavi Hernández verpflichtet worden. Die Vorstellung vor der Presse blieb jedoch zunächst aus. „Das hat es in der Geschichte von Barça noch nie gegeben“, sagt der renommierte Sportjournalist Santi Giménez, 55, von „AS“, einer der vier täglichen Sportzeitungen in Spanien. 

Hansi Flick – der unbekannte Deutsche

Stattdessen folgte ein Versteckspiel von Seiten des Vereins mit abgedunkelten Kleinbussen, die das Luxushotel „Majestic“ am Passeig de Gràcia über Seitenausfahrten verließen. In einer Fernsehsendung war bald von der geheimnisvollen „Hansineta“ die Rede, in Anlehnung an das spanische Wort für Mini-Van „Furgoneta“, mit denen der Deutsche heimlich durch die Stadt kutschiert werde. „Es wurde ein regelrechtes Mysterium kreiert“, erzählt Giménez, der seit Langem über Barça schreibt und schon so ziemlich alles mit diesem Verein und dem nun siebten Trainer innerhalb von zehn Jahren erlebt hat. „Flick war für die Leute hier ohnehin ein relativer Unbekannter“, sagt Giménez. Wenn überhaupt kannte man ihn als den Sechs-Titel-Mann vom FC Bayern und als denjenigen, der sie 2020 mit einem 8:2 in der Champions League vom Platz gefegt hatte. Die katastrophale Vorstellung mit der Nationalmannschaft in Katar und seinen unglücklichen Abgang hätten die meisten hingegen kaum mitgekriegt. „Flick hatte hier weder ein schlechtes noch ein gutes Image, sondern gar keins“, meint Giménez.

Flick 14.20

Ende Juli fand schließlich die offizielle Vorstellung statt. Natürlich im Camp Nou, das zwar momentan noch eine Großbaustelle ist, aber immerhin bereits über das neue Auditorium „1899“ verfügt, benannt nach dem Gründungsjahr des Clubs. Rund 50 Journalisten und Fotografen warteten gespannt auf den neuen Trainer, dessen Bild mit einem „Benvinguts“, auf Katalanisch „Willkommen“, riesig auf die Wand projiziert war. Darunter wirkte Flick gleich noch ein Stück kleiner, als er im dunkelblauen Blouson das Podium betrat und ein brav auswendig gelerntes „Estic molt content“ aufsagte, „ich bin sehr glücklich“. Trotz Simultanübersetzer sollte der Rest der Pressekonferenz dann allerdings komplett auf Englisch stattfinden – für Barça ein weiteres Novum, das für mittelgroße Begeisterung unter den spanischen Journalisten sorgte. 

Keine hohen Erwartungen

Vereinspräsident Joan Laporta sprach dann davon, dass sie den Deutschen auch für eine gewisse „Disziplin“ geholt hätten. Flick dagegen schwärmte von den „fantastischen“ jungen Spielern, erklärte wie „happy“ er mit dem Team sei und dass er bereits merke, wie sehr das Vereinsmotto „més que un club“, mehr als ein Club, hier wirklich gelebt werde. Mit anderen Worten: Er sagte nichts.

Da präsentierte der große, wenngleich sportlich wie finanziell krisengeschüttelte FC Barcelona also einen Trainer, der weder Spanisch noch Katalanisch spricht, dessen Englisch mit deutlich deutschem Akzent auch eher hölzern wirkt, der kein Fußballprofessor wie Pep Guardiola und offensichtlich auch kein Charismatiker wie Jürgen Klopp zu sein schien – die ohnehin geringen Erwartungen der Fans tendierten Anfang der Saison gen Null. 

Sogar Niederlagen werden Hansi Flick bisher verziehen

Doch dann gewann Barça plötzlich sieben Spiele in Folge in der spanischen Liga. Das vierte davon gegen Real Valladolid gleich mal mit 7:0. Bei den Treffern fünf, sechs und sieben applaudierten und schrien die Zuschauer vor den Fernsehern in den Bars laut auf. So viel Begeisterung hat man in der Stadt lange nicht gehört, weil der Verein zwar 2023 die Liga gewann, aber insgesamt eher zähen Fußball ohne viele Tore zeigte. Unter Xavi stand Robert Lewandowski angeblich schon auf der Abschussliste. Mit seinem neuen alten Trainer Flick hat der Pole bereits zwölfmal getroffen. Auch der Brasilianer Raphinha spielt wie verwandelt, das Wunderkind Lamine Yamal ist sowieso eine Ausnahmeerscheinung. 

In der Liga führen sie nach zehn Siegen, einem Unentschieden und einer Niederlage nun mit drei Punkten vor Real Madrid, mit 39 Treffern sind sie Spitzenreiter der großen Ligen, nicht mal Manchester City mit Erling Haaland schießt aktuell mehr Tore. Lediglich in der Champions League verloren sie nach einer frühen roten Karte zu zehnt 1:2 gegen den AS Monaco. „No pasa nada!“ „Das mit Monaco macht nichts, Hansi, nur ein Fehler, das war’s“, hörte man einen Fan in dem Video von der Bushaltestelle im Hintergrund sagen. Sogar Niederlagen werden dem Trainer, bislang, verziehen.

In jeder Hinsicht gut angekommen

„Flick ist hier in jeder Hinsicht sehr gut angekommen“, sagt Santi Giménez von „AS“. Dabei hatte er mit Andreas Christensen, Ronald Araujo, Frenkie de Jong, Gavi und anderen immer ein halbes Dutzend Verletzte auf den Rängen sitzen und konnte wegen der verheerenden finanziellen Lage des Clubs abgesehen von Dani Olmo keine neuen Spieler verpflichten. Dann fiel auch noch Marc-André ter Stegen, Kapitän und einziger deutscher Spieler im Team, wegen eines Patellasehnen-Riss für Monate aus. Flick wirkt bei jeder neu zu vermeldenden Verletzung ehrlich betroffen, beschwert sich aber nicht, sondern setzt dafür junge Spieler aus „La Masia“ ein, dem vereinseigenen Nachwuchsinternat. Etwa den 21-jährigen Marc Casadó oder den 17-jährigen Marc Bernal, der allerdings mittlerweile ebenfalls verletzt ausfällt. 

Endlich ein ganz normaler Trainer

Man müsse die Anfangseuphorie aber auch in Relation sehen, findet Giménez. Nach dem hysterischen Luis Enrique, dem verschlossenen Ernesto Valverde, dem schlechtgelaunten Ronald Koeman und Xavi, der in Pressekonferenzen stundenlang diskutierte und jedes geschriebene Wort über sich manisch verfolgte, habe man jetzt endlich wieder „einen ganz normalen Trainer“ bei Barça, der respektvoll und freundlich mit den Leuten umgeht. Während die Spieler bei den 15 Minuten offenem Training für Reporter und Fotografen zuletzt in der hintersten Ecke des Geländes versteckt wurden, habe Flick sie neulich direkt vor ihrer Nase trainieren lassen. Auch aus der Kabine höre man nur Gutes. Die jungen Spieler seien begeistert, sowohl alteingesessenes wie mitgebrachtes Personal harmoniere miteinander, vom Zeugwart bis zu den Putzfrauen behandele Flick alle gleich. „Er wirkt auf die meisten Leute hier wie jemand, dem sie guten Gewissens ihre Wohnung überlassen würden“, sagt Giménez scherzhaft. 

Tatsächlich macht Flick in Barcelona bislang eine sehr viel bessere Figur als in der Amazon Prime Dokumentation „All or Nothing“ über die deutsche Nationalmannschaft bei der WM in Katar. Was als Wüstenmärchen angedacht war, entwickelte sich zu einer Tragödie mit einem überfordert wirkenden Trainer, der seine Spieler mit Graugänse-Allegorien – vergeblich – zu motivieren versuchte. 

Gelassen an der Seitenlinie

Knapp zwei Jahre später ist Flick sonnengebräunt, die Augenringe sind weniger geworden, an der Seitenlinie wirkt er gelassen bis emotionslos, kürzlich sah man ihn entspannt mit seinen Enkelkindern über die Strandpromenade in Llafranc an der Costa Brava flanieren. Er gibt zwar keine Interviews und wiederholt in den kurzen Pressekonferenzen die immer gleichen Standardphrasen von „pressure“, „attack“ and „fun“, aber so lange es so gut für ihn läuft, bedeutet weniger Diskurs auch weniger Raum für Polemik, aus Ermangelung großer Sätze werden eher die kleinen Gesten wahrgenommen. 

Mbappé wechselt zu Real Madrid 20.40

Während in der „Hansineta“-Phase fest damit gerechnet wurde, dass Flick sich wie Robert Lewandowski oder Marc-André ter Stegen natürlich eine Villa in Strandnähe in Gava oder Castelldefels suchen werde, wohnt er nun tatsächlich mitten in der Stadt. Er soll eine Wohnung im Viertel San Gervasi bezogen haben und quatsche, wie auf dem Onlineportal „El Desmarque“ zu lesen war, angeregt mit den Nachbarn. „Hansi ist wirklich ausgesprochen nett und überhaupt nicht abgehoben“, schwärmt der Kellner in der „Bar Milagros“, einem typischen Restaurant im Viertel mit dunkelgrünen Fensterläden und weißgedeckten Tischen draußen, wo Flick schon mehrfach gegessen hat. Die Karte gibt es hier nur auf Spanisch und Katalanisch, aber der Deutsche lasse sich dann einfach etwas von ihnen empfehlen und probiere die Tagesgerichte. „Milagros“ heißt auf Spanisch übrigens „Wunder“. Eine hübsche Metapher auf die ersten Flick-Festwochen in der Stadt. 

Die erste große Kraftprobe für Flick

Am heutigen Mittwoch trifft Flicks Mannschaft in der Champions League nun auf den FC Bayern, seinen ehemaligen Club. Zu Hause vor heimischem Publikum und wahrscheinlich wieder mit dem kurzzeitig verletzten Dani Olmo, der schon in Leipzig besonders gern gegen die Bayern traf. Das Match dürfte die erste große Kraftprobe für Flick als neuen Barça-Trainer werden. Und nur drei Tage später wartet „El Clásico“ gegen Real Madrid. „Das ist eigentlich das viel wichtigere Spiel“, sagt Giménez. Madrid hat vergangene Saison sowohl den Titel in der Liga wie in der Champions League geholt und jetzt noch Kylian Mbappé verpflichtet. Ein Sieg gegen den Erzrivalen wäre das nächste kleine Wunder und würde sich perfekt in das bisherige Narrativ fügen: der nette, aber hocheffiziente Deutsche, unter dem plötzlich alles wie eine gut geölte Maschine läuft, mit schnelleren, muskulöseren Spielern, die wieder Lust auf Leistung haben. Das perfekte Klischee deutscher Zuverlässigkeit, das im Ausland bisweilen noch ganz gut funktioniert. 

Eine oder gar zwei Niederlagen dagegen wären trotz allem Verletzungspech nicht nur eine herbe Enttäuschung, es könnte die ganze Dynamik und gute Laune der letzten Wochen verderben. Wahrscheinlich müsste Flick dann doch mal ein paar unangenehme Fragen beantworten und ein bisschen weiter ausholen, statt „No pasa nada“ würden die Fans auch mal „Was war da los, Hansi?“ rufen. Womöglich müsste man ihnen irgendwann offenbaren, dass das mit der deutschen Perfektion und Disziplin im eigenen Land schon länger bröckelt und sie da eher einem Mythos aufgesessen sind. Aber vielleicht kommt es ja gar nicht so weit. Milagros gibt es immer wieder.