Irmela Mensah-Schramm hat kein Verständnis für rechte Parolen. Die 78-jährige Berlinerin greift im Zweifelsfall zu Nagellackentferner und Spraydose. Notfalls hilft auch ihr Ceranfeldschaber.

Irmela Mensah-Schramm hat kein Verständnis für rechte Parolen. Die 78-jährige Berlinerin greift im Zweifelsfall zu Nagellackentferner und Spraydose. Notfalls hilft auch ihr Ceranfeldschaber.

Die weißhaarige ältere Dame auf dem Bürgersteig mit einem Stoffbeutel in der rechten Hand scheint auf dem Weg zum Einkaufen zu sein. Doch als sie sich in Berlin-Wannsee einem Fußgängertunnel nähert, werden ihre Schritte langsamer. Irmela Mensah-Schramm prüft im Vorbeigehen, was an den Betonwänden links und rechts zu lesen ist. Die zahlreichen Graffiti der Hertha-Fans interessieren sie wenig. Sie sucht nach rechtsextremistischen Sprüchen oder rassistischen Parolen.

Meistens dauert das nicht lange: „FCK Antifa“ ist an der rechten Tunnelwand zu lesen. Die Berlinerin stoppt, macht mit ihrer kleinen Digitalkamera ein Foto, um den Schriftzug zu dokumentieren und holt eine Spraydose aus dem Stoffbeutel. Nur eine halbe Minute später ist „Für Antifa“ an der Wand zu lesen. Die drei Buchstaben „FCK“ für „fuck“ hat sie mit schwarzer Farbe übersprüht.

Mit solchen Aktionen hat die 78-Jährige viel Übung. Seit fast vier Jahrzehnten engagiert sich die Menschenrechtsaktivistin gegen rechte Propaganda und Hassbekundungen, kratzt Aufkleber von Neonazis von Laternenpfählen oder übermalt rechte Sprüche. Denn die Berlinerin lacht zwar oft und gerne, aber es gibt Themen, da hört für sie der Spaß auf. Bei „Ausländer raus“ gilt für sie: null Toleranz. Bei „Juden raus“ erst recht. 

Für eine 78-Jährige ist Irmela Mensah-Schramm ziemlich viel unterwegs – quer durch ganz Deutschland und auch im benachbarten Ausland, wenn das aus ihrer Sicht sein muss. Die Seniorin aus dem Berliner Südwesten steigt nicht zum Spaß in die S-Bahn oder den Zug.

„Wenn ich gezielt losziehe, habe ich immer eine Spraydose dabei“, erzählt sie. Aceton, also Nagellackentferner, und einen Ceranfeldschaber zum Abkratzen von Aufklebern nimmt sie praktisch immer mit, wenn sie aus dem Haus geht. 

Weit über 95.000 Aufkleber entfernt

Eine Abneigung gegen Aufkleber aus der rechten Szene hat sie schon lange: „“Freiheit für Rudolf Hess“ – das war der erste Aufkleber, den ich entfernt habe“, sagt sie. Das war 1986, als die gebürtige Stuttgarterin, die lange als Erzieherin und Heilpädagogische Lehrkraft gearbeitet hat, gerade aus Berlin-Wilmersdorf nach Wannsee gezogen war. 

Der Aufkleber hing quasi vor ihrer Haustür – an der Bushaltestelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Seitdem hat sie nicht aufgehört. „Ich bin jetzt auf einem Stand von über 95.400 Aufklebern“, lautet ihre beachtliche Bilanz. „Ich zähle aber erst seit 3. Januar 2007.“ 

Die Aufkleber sind allerdings nur das Eine. „Wenn irgendwo „Deutschland den Deutschen“ geschrieben steht, entferne ich das“, sagt sie. „Einmal habe ich an einer Hauswand „Refugees not welcome“ gesehen, da habe ich das „not“ übersprayt“- aus „Flüchtlinge nicht willkommen“ wurde so die genau gegenteilige Botschaft. Auch den Schriftzug „Demokratie = Volkstod“ hat sie sich vorgenommen und das zweite Wort kurzerhand mit einem Herz übermalt. 

Im Schlafzimmer stehen 149 Leitz-Ordner

Sämtliche Aktivitäten dokumentiert sie im Bild – 149 Leitz-Ordner sind inzwischen voll und stehen in ihrem Schlafzimmer. „In der Woche bin ich garantiert viermal weg“, erzählt die Seniorin, die für ihr Engagement zahlreiche Auszeichnungen bekommen hat. „Ich mache es am liebsten allein, ich habe dann meine Ruhe und kann mich konzentrieren.“

Auf einer Deutschlandkarte hat sie mit roten Punkten die Orte markiert, in denen sie auf ihrer Mission schon gewesen ist: dicht an dicht von Schleswig-Holstein bis Bayern. „Regelmäßig bin ich in Vetschau im Spreewald, in Königs Wusterhausen, Rathenow und in Berlin zum Beispiel in Rudow und Frohnau.“ 

Dabei erlebt die 78-Jährige auch vieles. „Einmal wollte ich nach Quedlinburg und sehe bei Halberstadt bei der Einfahrt in den Bahnhof aus dem Zugfenster und habe da Hakenkreuze bemerkt. Ich bin sofort rausgesprungen und hingerannt und habe die übermalt“, erzählt sie.

„Inzwischen habe ich einen Blick dafür. In Velten in Brandenburg habe ich einen Aufkleber mit einem Hitlerporträt gesehen mit der Aufschrift „So einen Mann braucht das Land“. Der ist mir schon aus einer Entfernung von 20 Metern aufgefallen“, sagt sie. „Und der kam dann weg.“ 

Sie spricht in Schulen und in YouTube-Beiträgen

Irmela Mensah-Schramm gibt schon lange regelmäßig Workshops, wird in Schulen eingeladen, stellt ihr Engagement gegen rechts bei Ausstellungen vor. Und sie wirkt in der zweiten Staffel des Firefox-Projekts „Challenge the Default“ mit. In der YouTube-Serie spricht sie über ihre Erfahrungen, gegen Hassbotschaften in der Öffentlichkeit vorzugehen. 

Aber es gibt auch unangenehme Erlebnisse: bedrohliche Situationen oder etliche Anzeigen, die gegen sie gestellt wurden – wegen Sachbeschädigung beispielsweise. Manchmal trifft sie auch auf diejenigen, deren Parolen sie üblicherweise beseitigt. 

„Am U-Bahnhof Rudow in Neukölln war mal eine Gruppe Nazis, und es gab auch frische Aufkleber. Ich bin dabei, die abzumachen, da kommt ein Nazi und klebt einen neuen ran“, erzählt sie. „Da habe ich gesagt: „Der kommt auch ab.“ Da war der ganz baff.“