Das Oktoberfest gilt gegenüber anderen Volksfesten als vorbildlich bei der Barrierefreiheit. Trotzdem ist der Besuch für Menschen mit Behinderung nicht einfach. Ein Besuch mit zwei Rollstuhl-Fahrern.

Das Oktoberfest gilt gegenüber anderen Volksfesten als vorbildlich bei der Barrierefreiheit. Trotzdem ist der Besuch für Menschen mit Behinderung nicht einfach. Ein Besuch mit zwei Rollstuhl-Fahrern.

 

Die Rampe zu steil. Die Theke zu hoch. Volle Zelte. Treppen. Für Menschen mit Behinderung und speziell im Rollstuhl wird der Besuch des Oktoberfests trotz deutlicher Fortschritte bei der Barrierefreiheit teilweise noch immer zum Hindernislauf. Eine ganze Reihe von Fahrgeschäften und Attraktionen bleibt für sie unerreichbar.

Monika Burger und Werner Graßl vom Facharbeitskreis Tourismus des Behindertenbeirats München, beide im Rollstuhl, kennen das. Selbst an einem Vormittag unter der Woche: Der Weg durch die Menge ist nicht einfach zu bahnen. Mancher übersieht sie – und stolpert fast über den Rollstuhl.

Zu steil, zu eng, zu hoch: Herausforderungen vor Ort

Station an der Wildstuben, eines der kleinen Zelte. Um ins Zelt zu kommen, ist Hilfe nötig: Die Rampe ist – wie oft an Zelten, Buden und Schaustellergeschäften – zu steil. Sechs Prozent Steigung sollten es nach DIN-Norm höchstens sein. Hier ist es mindestens das doppelte. 

„Für einen Fußgänger schaut das nicht steil aus“, sagt Graßl. Wirt Klaus Renoldi eilt herbei, schiebt den Rollstuhl, der sonst nach hinten umkippen könnte. Im Zelt: Aussparungen an manchen Tischen, damit der Rolli Platz findet – allerdings reicht das jeweils eher nur für einen Rollstuhl.

Eine Gruppe von Rollstuhlfahrern hätte hier Schwierigkeiten, auch an dem für sie vorgesehenen Tisch, an dem eine Bank abgebaut werden kann, erläutert Burger. Das sei ihm bisher nicht bewusst gewesen, es habe noch keine derartige Anfrage gegeben, sagt Wirt Renoldi. Den Ausführungen der beiden Rollstuhlfahrer hört er zu: „Das ist eine neue Perspektive.“ Die Rampe darf er, so sagt er, nicht weiter hinausbauen auf die Volksfestgasse – dafür hat Graßl eine Lösung: Eine Auffahrt von der Seite.

Fortschritte, aber der Weg zur Inklusion ist noch weit

Seit 2007 sind Burger und Graßl Jahr für Jahr auf der Wiesn unterwegs, um auf Probleme aufmerksam zu machen, damit für Menschen mit Behinderung der Wiesnbesuch einfacher wird.

Einiges hat sich seither getan. Neu ist ein Online-Übersichtsplan und Karten von den einzelnen Zelten mit barrierefreien Zugängen und Toiletten. Alle großen Festhallen müssen einen solchen Zugang sowie eine bestimmte Anzahl Rollstuhlfahrerplätze anbieten. 

Es gibt am Fest Leih-Rollstühle und Behindertentoiletten sowie eine spezielle sogenannte „Toilette für alle“ mit einem Lift und einer Liege für schwerbehinderte Menschen, die pflegerische Betreuung brauchen. Alljährlich vor der Wiesn bekomme sie einige Anfragen auch zu dieser Einrichtung, die sonst auf Volksfesten nicht vorhanden ist, sagt Burger.

Hilfe gibt es auf dem Oktoberfest. Ordner sind sofort zur Stelle, wenn sie die Rollstuhlfahrer heranfahren sehen; auch Gäste bieten Hilfe an. Manche Rollstuhlfahrer haben auch eine Begleitperson dabei.

Das Ziel: Selbstständigkeit 

Doch für Burger und Graßl zählt etwas anderes. „Wir wollen möglichst normal behandelt werden – und möglichst selbstständig unterwegs sein, wie jeder andere Mensch“, sagt Graßl. Selbstständig leben, selbstständig unterwegs sein – das bedeutet Freiheit trotz der Behinderung, das ist, das wird immer wieder deutlich, das größte Ziel. „Barrierefrei ist, wenn es grundsätzlich ohne Hilfe machbar ist. Wenn man Hilfe braucht, ist es nicht barrierefrei“, sagt Burger – und zitiert Paragraf 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes.

Dennoch ist es nicht immer einfach. Übersehen werden in der Menge, nicht auf Augenhöhe sein. Einmal, so berichtet Burger, habe ein Gast im Festzelt seinen Maßkrug auf ihren Kopf gestellt, weil er dachte, sie sei eine Ablage. Sowas könne auf der Wiesn schon mal passieren, meint sie gelassen. Der Gast sei halt nicht mehr ganz nüchtern gewesen. 

Technologische Innovationen erleichtern den Zugang

Für Blinde geben einige Fahrgeschäfte ihre Preise in Blindenschrift an, ebenso einige Stände. Einige Imbissbuden und Festbetriebe haben Speisekarten in Braille-Schrift.

Zunehmend setzt sich der QR-Code auf Speisekarten durch, über den sich der Gast die Karte vorlesen lassen kann. Braille-Schrift, so sagt Burger, sei nicht unbedingt die ultimative Lösung. Sie sei für später Erblindete oft schwer zu lernen – junge Blinde nutzten ohnehin das Smartphone.

Weitgehend problemlos kommen Rollstuhlfahrer ins Riesenrad, das als eines der ersten Wiesn-Fahrgeschäfte vor Jahren den barrierefreien Zugang geschaffen hat und dafür vom bayerischen Familienministerium ausgezeichnet wurde.

Dennoch haben die beiden auch hier Verbesserungsvorschläge: Der Beginn der Rampe ist noch immer zu steil – hier könnte ein verlängerter Handlauf helfen, sagt Graßl und demonstriert dem Sprecher des Betreibers, Frank Ritter, was er meint. „Da müssen wir uns was einfallen lassen“, sagt Ritter. „Danke für den Hinweis.“ Trotz aller Bemühungen: Für Menschen, die gehen können, sind viele Hürden wie auch Lösungen nicht erkennbar.

Gemischte Bilanz bei den Fahrgeschäften 

Die neue Erlebnisbahn Laserpix und das Kettenkarussell Fahrenschon sind laut Festleitung mit Rollstuhl erreichbar; die Wagen einiger Autoscooter-Betriebe lassen sich mit Handgasbetätigung fahren. Das Problem sei aber, erst mal in die Wagen hineinzukommen, sagt Graßl. Sich hineintragen lassen – das wollen beide nicht.

Immer wieder Theken. Beim Vogeljakob, der in fast hundertjähriger Tradition in seinem kanzelartigen Stand erhöht Vogelpfeiferl feilbietet, ist es am einfachsten. Kommen Menschen, die nicht an die Theke reichen, steigt der derzeitige Vogeljakob Horst Berger herunter – und zeigt dort, wie er der an den Gaumen gelegten Membran Vogelstimmen entlockt.

An den Eingängen zur Oidn Wiesn sind an einer Stelle die Kassen so hoch, dass Burger von den Mitarbeitenden manchmal gar nicht gesehen wird. Weiter hinten gibt es niedrige Kassen – aber da ist die Rampe zu steil. An einem Bratwurststand kommt Burger die Rampe hinauf, aber dann kaum an die Theke.

An vielen Schaustellerbetrieben: Treppen. Die Schau der Steilwandfahrer: Treppen. Die historische Krinoline, früher Burgers liebstes Fahrgeschäft: Treppen.

Auch wenn Burger und Graßl manches verschlossen bleibt – die Wiesn genießen sie, beide aus München stammend, trotzdem immer wieder: „Die Wiesn ist die Wiesn.“

 

 

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