
Experten sehen ein strukturelles Problem und verweisen auf eine zusätzliche Dunkelziffer. Aus welchen Situationen entwickelt sich die Aggression? Und was können Kliniken dagegen tun?
Krankenhauspersonal wird immer wieder Opfer von körperlichen Attacken am Arbeitsplatz. Im vergangenen Jahr seien insgesamt 189 Klinikangestellte betroffen gewesen, teilte die Sprecherin des Gesundheitsministeriums in Wiesbaden mit. Unter den Opfern waren 34 Ärztinnen und Ärzte sowie 155 Pflegerinnen und Pfleger. Für die Statistik wurde Gewaltkriminalität mit dem Tatort „Klinik“ und „Krankenhaus“ ausgewertet. Gezählt wurden Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und Freiheit zum Nachteil von Ärzten und Pflegern.
Ballungszentren stärker betroffen als ländliche Regionen
2023 lag die Zahl der Opfer noch etwas höher, nach Zahlen des Gesundheitsministeriums waren 173 Pflegerinnen und Pfleger sowie 33 Ärztinnen und Ärzte von gewalttätigen Angriffen betroffen. „In den Ballungszentren, in denen sich mehrere Krankenhäuser und Kliniken befinden, wurden proportional mehr Fälle erfasst als in den übrigen ländlich geprägten Regionen“, erläuterte das Ministerium in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der AfD-Landtagsfraktion.
Schutz durch Sicherheitsdienste und Panikknöpfe?
„Die Landesregierung verurteilt Angriffe und Gewalt gegen Mitarbeitende in Krankenhäusern, Beschäftigte im Gesundheitswesen, Einsatz- und Rettungskräfte und darüber hinaus auf das Schärfste“, bekräftigte das Gesundheitsministerium. Über Schutzmaßnahmen müssten die Kliniken jeweils vor Ort entscheiden. In Betracht kämen etwa Absprachen mit der Polizei, eigene Sicherheitsdienste, bauliche Änderungen oder Panikknöpfe.
Krankenhausgesellschaft verweist auf Dunkelziffer
„Die gemeldeten Zahlen zeigen: Gewalt gegen Pflegekräfte und Ärztinnen und Ärzte ist leider kein Einzelfall mehr, sondern ein strukturelles Problem – auch in hessischen Kliniken“, bilanzierte eine Sprecherin der hessischen Krankenhausgesellschaft. „Die Dunkelziffer dürfte wahrscheinlich noch etwas höher liegen, da nicht jeder Vorfall zu einer Anzeige gebracht wird.“
Schutzmaßnahmen, die einige Kliniken bereits eingeführt haben, zeigten punktuell Wirkung, ergänzte die Sprecherin. Dazu zählten Sicherheitsschleusen, Videoüberwachung und Schulungen für Mitarbeitende. „Dennoch bleibt die Zahl der Angriffe hoch – eine Entspannung der Lage lässt sich leider derzeit nicht feststellen.“ Die Herausforderungen im Klinikalltag wie Personalmangel, steigende Arbeitsbelastung, zunehmende Aggressivität und auch Frustration in Teilen der Gesellschaft trügen zur Eskalation bei.
Gewalt entsteht nach Erfahrungen der Krankenhausgesellschaft meist wegen Wartezeiten in der Notaufnahme, Sprachbarrieren, Sucht oder psychischen Belastungen oder auch Besucherkonflikten. Besonders betroffen seien Notaufnahmen, psychiatrische Stationen oder Pflegekräfte im Nachtdienst.
Die Landesärztekammer erfasst über einen digitalen Meldebogen Gewalt gegen die Ärzteschaft und Praxisteams. „Unsere Meldedaten deuten darauf hin, dass die Aggressivität gegenüber dem medizinischen Personal seit Erhebungsbeginn im Jahr 2019 gestiegen ist“, erklärte eine Kammer-Sprecherin. Insbesondere während der Corona-Pandemie habe es mehr registrierte Fälle gegeben. Die Mehrheit der Meldungen stamme aus dem Gebiet der Allgemeinmedizin, gefolgt von der Psychiatrie und Psychotherapie.
„Weiterhin leben wir in krisenhaften Zeiten. Dies kann zu Überforderung führen, die unter anderem mit einer gesteigerten Aggressivität gegen die Ärzteschaft sowie Gesundheitsfachkräfte einhergeht“, ergänzte die Sprecherin der Landesärztekammer. „Manche Patientinnen und Patienten, die immer fordernder werden, zeigen in einigen Fällen weniger bis gar kein Verständnis für die derzeitige Arbeitsbelastung der Ärzteschaft sowie der Mitarbeitenden.“
Auslöser für das aggressive Verhalten seien laut Meldedaten überwiegend Wartezeiten oder die Verweigerung von Medikamentenverschreibung. Teilweise unterstellten Angehörige einem behandelnden Arzt/ einer behandelnden Ärztin auch eine fehlerhafte Behandlung.
Code-Wort kann im Notfall helfen
Die Carl-Oelemann-Schule der Landesärztekammer bietet seit 2024 für Medizinische Fachangestellte die Fortbildung „Aggression im Praxisalltag – Lösungsstrategien“ an. „Die kommende Fortbildungsveranstaltung ist bereits ausgebucht, sodass man von einer hohen Nachfrage ausgehen kann“, erklärte die Sprecherin. Es sei wichtig, dass die Ärzteschaft gemeinsam mit ihren Mitarbeitenden ein Konzept entwickelt, wie mit aggressiven Patientinnen und Patienten umgegangen werden sollte, rät die Landesärztekammer. Dies könne etwa ein Code-Wort sein, mit dem unauffällig andere Teammitglieder um Unterstützung gebeten werden.