
Handys und Tablets schränken die Lernprozesse von Schülern ein, meint Gymnasiallehrerin Emily Horbach. Die Lösung: ein einheitliches Verbot.
Frau Horbach, in Hessen soll ab dem kommenden Schuljahr ein Handyverbot gelten. Wie haben Sie als Lehrerin auf diese Nachricht reagiert?
Ich persönlich habe mich sehr gefreut. Meine Recherchen und meine persönlichen Erfahrungen in der Schule zeigen, dass ein Handyverbot einen großen Mehrwert für die Schülerinnen und Schüler hat, sowohl aus lernpsychologischer als auch aus sozialer Sicht. Ich sehe in der freien Nutzung von Handys und anderen elektronischen Geräten eine große Gefahr.
Wie hat sich aus Ihrer Sicht der Schulalltag in den vergangenen Jahren durch digitale Endgeräte verändert?
Sehr negativ. Ich stelle fest, dass die Konzentrationsfähigkeit der Schüler stark abgenommen hat. In diesem Zusammenhang ist auch die Bereitschaft, sich auf anstrengende Aufgaben einzulassen, zurückgegangen.
Und daran sollen Smartphones schuld sein?
Ja, bei der Nutzung von sozialen Medien bekommt man mit wenig Aufwand ein gutes Gefühl. Wenn Schülerinnen und Schüler sich TikTok-Videos anschauen, steigt der Dopaminspiegel sehr schnell an, ohne dass sie viel dafür tun müssen. Das Problem ist, dass dies im Widerspruch zu dem steht, was in der Schule passiert und wie Lernen funktioniert.
Inwiefern?
Lernen ist anstrengend und erfordert, dass man an einen Punkt kommt, an dem man einen Fehler macht, an dem man denkt, das habe ich noch nicht verstanden, jetzt muss ich wieder von vorne anfangen. Beim Lernen wird zwar auch Dopamin ausgeschüttet, aber erst nach etwa zehn Minuten. Erst dann kommt die Motivation. Durch die zunehmende Handynutzung stelle ich fest, dass viele Schülerinnen und Schüler diesen Punkt gar nicht mehr erreichen, sondern vorher aufgeben, vor allem, wenn das Smartphone in der Tasche ist. Sie flüchten dann vor der Aufgabe, gehen auf die Toilette und lenken sich mit dem Handy ab. Damit verpassen sie einen wichtigen Lernmoment.
Welche Folgen haben die Geräte für das schulische Zusammenleben?
Die Schule ist neben dem Lernen auch ein Ort der Charakterbildung, wo Schülerinnen und Schüler lernen, wie man sich mit anderen streitet, wie man sich wieder verträgt, wie man spielt, kommuniziert. Durch das Smartphone geht da sehr viel verloren.
Haben Sie ein Beispiel?
Zu Beginn des Schuljahres habe ich meiner Englischklasse die Aufgabe gegeben, zehn Dinge aufzuschreiben, die sie ihren Mitschülern sagen wollen. Der erste Schritt der Schüler, die in meiner Klasse mit privaten Tablets arbeiten, war nicht etwa selbst nachzudenken. Sie haben sofort ChatGPT gefragt. Das ist zwar verständlich, weil es der einfachste Weg ist, die Aufgabe zu lösen, aber die Konsequenz ist, dass sie etwas sagen, was eigentlich gar nicht ihrer persönlichen Meinung entspricht.
In Hessen soll es unterschiedliche Regelungen je nach Alter der Schüler geben. Stellen Sie Unterschiede im Nutzungsverhalten der verschiedenen Altersgruppen fest?
Nicht wirklich. Die ganz Kleinen nutzen es eher weniger, aber wenn ich in der Pause über den Schulhof gehe, zocken die meisten Schüler am Handy oder daddeln in den sozialen Medien. Die Spielgeräte werden kaum noch genutzt, und auch in der Mensa oder in der Cafeteria sitzen die Schüler rum und jeder guckt auf seinen Screen. Soziale Interaktion finden gar nicht mehr richtig statt.
Wie ist der Umgang mit digitalen Endgeräten an Ihrer Schule geregelt?
Wir haben noch gar keine Regelung, und das ist auch – das weiß ich – der schlimmste Fall. Es gibt viele Schulen, die haben schon Systeme und Regelungen etabliert. Wir haben noch keine.
An den meisten Schulen sind Regeln zur Handynutzung in der Schulordnung verankert. Warum braucht es dann noch eine gesetzliche Regelung?
An meiner Schule diskutieren wir seit Beginn des Schuljahres, wie wir mit der Nutzung von Smartphones umgehen wollen und ob wir es verbieten wollen. Ich denke, wenn man einheitlich vorgeht, wie in Hessen, nimmt man den Schulen viel Druck ab. Deshalb bin ich für klare Ansagen und für ein einheitliches Vorgehen.
Wie gehen Sie persönlich im Unterricht damit um?
In meiner neunten Klasse habe ich die Regel eingeführt, dass sie ihre Handys auf das Pult legen müssen, wenn sie in den Raum kommen. Das kann ich machen, aber das ist für mich als Lehrerin sehr anstrengend. Die Schüler wundern sich natürlich, warum sie das bei mir machen müssen und bei anderen nicht.
Die Technologien bringen auch viele Vorteile mit sich. Sollte man sie nicht besser nutzen und auf eine gewinnbringende Art und Weise in den Unterricht integrieren?
Voll. Aber das Problem ist, gerade wenn die Schüler private Endgeräte nutzen, habe ich als Lehrerin keinen Einblick, was sie auf ihrem Tablet machen. Ich weiß, dass es Schulen gibt, die Tablets haben, wo die Lehrerin sehen kann, was auf den einzelnen Bildschirmen passiert oder sie das Internet für eine gewisse Zeit sperren kann. Aber wenn ich keinen Zugriff habe auf das, was gerade passiert, dann bin ich als Lehrerin verloren. Dann habe ich im Prinzip keine Möglichkeit, meine Schüler so zu unterstützen, dass sie wirklich gut lernen können. Und das muss man sich auch bewusst machen.
Sie meinen also ernsthaft, wir sollten alle digitalen Endgeräte aus der Schule verbannen und wieder zu Papier und Bleistift zurückkehren?
Nein. Ich finde ein Verbot zwar grundsätzlich gut, aber es sollte trotzdem einen gewissen Spielraum für Lehrer geben, die technischen Geräte sinnvoll einzusetzen. Zum Beispiel für die Medienbildung oder bestimmte Projekte. KI-Programme können sehr gut zum Lernen genutzt werden. Aber es braucht ein Bewusstsein dafür, ob diese Technologien wirklich sinnvoll für das Lernen sind oder ob es Bereiche geben muss, wo wir Schüler schützen müssen.
Wie reagieren die Schülerinnen und Schüler auf Verbote, die Sie als Lehrkraft selbst aussprechen?
Als wir auf Klassenfahrt waren, haben meine Kolleginnen und ich beschlossen, ein Handyverbot zu verhängen. Wir haben die Geräte eingesammelt und die Schüler hatten täglich eine Stunde Handyzeit, in der sie nach Hause telefonieren konnten. Die Schüler waren dafür sogar dankbar. Sie hätten sich befreit gefühlt, sagten sie später. Es sei viel mehr kommuniziert worden. Auf der Rückfahrt, na ja, da haben sie wieder am Handy gesessen.
Ob in der U-Bahn, an der Bushaltestelle oder sogar im Bundestag: Selbst Erwachsene haben meist den Kopf gesenkt und starren auf ihr Handy. Ist das eigentliche Problem nicht, dass wir es den Kindern falsch vorleben?
Absolut, es ist allgegenwärtig. Und ganz ehrlich: Ich versuche auch, meine Handyzeit zu reduzieren, weil ich merke, dass es mir in vielerlei Hinsicht nicht gut tut. Es fällt mir auch schwer, mich auf eine Aufgabe zu konzentrieren und mich nicht ablenken zu lassen. Jetzt muss man sich mal vorstellen, wie es einem 13-Jährigen geht, der sein Smartphone vor sich liegen hat, wo ständig Snapchat-Nachrichten aufpoppen, und der nebenbei noch Französisch-Vokabeln lernen soll. Wie soll das funktionieren, wenn wir Erwachsenen schon damit Schwierigkeiten haben?
Kann ein Verbot das Problem auch langfristig lösen?
Ich glaube, wir befinden uns an einem wegweisenden Punkt, an dem ein starkes Umdenken im Umgang mit dem Smartphone stattfindet. Wir sehen diesen Trend bereits in anderen Ländern. Und ich glaube, wir fangen jetzt erst an zu verstehen, welchen Einfluss diese Geräte auf Kinder und Jugendliche haben können. Ich kann mir vorstellen, dass das jetzt der Anfang einer Entwicklung ist, die weiter in Richtung Verbote gehen wird.