Zum Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz wird der Opfer des NS-Terrors gedacht. Viele Staatschefs kommen – doch sprechen werden die früheren Häftlinge.
80 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz werden Delegationen aus 55 Ländern dort der Millionen Opfer des Holocaust gedenken. An der Zeremonie werden zahlreiche Staats- und Regierungschefs teilnehmen, im Mittelpunkt stehen aber die Überlebenden der Mordmaschinerie der Nationalsozialisten. Rund 50 ehemalige Häftlinge aus Auschwitz und anderen Konzentrationslagern werden dabei sein, drei oder vier von ihnen halten die zentralen Ansprachen.
„Ich gehe davon aus, dass in ihren Stimmen Hinweise und Aufrufe an uns zu hören sind, wie man die Welt gestalten sollte“, sagte Gedenkstättenleiter Piotr Cywinski der Nachrichtenagentur PAP. Er verwies darauf, dass angesichts des wachsenden Populismus und Informationschaos heutzutage Orientierung notwendig sei. „Ihre Erfahrung zählt dazu.“
Es könnte eine der letzten Gedenkfeiern mit Überlebenden sein, die nun alle mindestens 80 sind. Das frühere deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau steht symbolhaft für den Holocaust und das Grauen des Nationalsozialismus. Rund 1,1 Millionen Menschen wurden hier zwischen 1940 und 1945 erschossen, in Gaskammern ermordet oder starben an Hunger und Krankheiten – die meisten von ihnen waren Juden. Am 27. Januar 1945 erreichten sowjetische Soldaten das Lager im von der Wehrmacht besetzten Polen und befreiten etwa 7000 Überlebende.
Das Land der Täter ist diesmal bei der Gedenkfeier so prominent vertreten wie noch nie: Aus Deutschland reisen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger (SPD) und Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau (Linke) an – fast die gesamte Staatsspitze. Außerdem gehören Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Jörg Kukies (SPD) zur deutschen Delegation. CDU-Chef Friedrich Merz ist aus Termingründen nicht dabei.
Kanzler Scholz schlägt Bogen von Auschwitz zur Asyldebatte
Der Bundestag wird am kommenden Mittwoch der Opfer des Holocaust gedenken. Am selben Tag will Kanzler Scholz im Parlament eine Regierungserklärung zur aktuellen Diskussion über die Konsequenzen aus der Messerattacke von Aschaffenburg für die Migrationspolitik abgeben.
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Der SPD-Kanzlerkandidat schlug am Sonntagabend im ARD-„Bericht aus Berlin“ den Bogen von Auschwitz zu der Asyldebatte. „Wir erinnern uns an 80 Jahre Auschwitz, die Befreiung des Konzentrationslagers“, sagte er. „Und wegen des Faschismus, wegen der Nazis steht in unserem Grundgesetz das Grundrecht auf Asyl.“ Wer dieses Grundrecht verteidigen wolle, müsse auch die irreguläre Migration zurückdrängen. „Und dafür stehe ich.“
Yad Vashem rügt Musk für Äußerung zu deutscher Schuld
Für Aufsehen sorgte vor der Gedenkfeier eine Video-Botschaft des US-Milliardärs Elon Musk beim AfD-Wahlkampfauftakt, bei dem der Vertraute von US-Präsident Donald Trump bemängelte, dass Deutschland „zu viel Fokus auf vergangene Schuld“ lege. Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem rügte ihn dafür.
Die Trump-Regierung ist in Auschwitz nicht besonders hochrangig vertreten. Anders als ursprünglich erwartet wird Vizepräsident J.D. Vance nicht teilnehmen. Stattdessen wird die US-Delegation vom Nahost-Beauftragten Steve Witkoff und dem designierten Handelsminister Howard Lutnick geleitet.
Putin nicht erwünscht
Neben Polens Staatschef Andrzej Duda, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem kanadischen Noch-Regierungschef Justin Trudeau haben sich auch der britische König Charles III. und Spaniens König Felipe VI. angekündigt. Ein Staatschef ist aber unerwünscht: der russische Präsident Wladimir Putin.
Seit der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 ist es das dritte Mal in Folge, dass die Gedenkfeier ohne einen Vertreter Russlands stattfindet. Zum 60. Jahrestag der Befreiung 2005 war Putin noch ein viel beachteter Gast – auch mit Blick auf die Rolle der sowjetischen Armee, die 1945 die Gefangenen befreite.
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„Dies ist der Jahrestag der Befreiung. Wir gedenken der Opfer, aber wir feiern auch die Freiheit“, begründete Gedenkstättenleiter Cywinski den Ausschluss Russlands. „Es ist schwer, sich die Anwesenheit Russlands vorzustellen, das offensichtlich den Wert von Freiheit nicht versteht.“
Netanjahu darf kommen, will aber nicht
Mit Blick auf den Gaza-Krieg gab es in Polen auch eine Kontroverse um die mögliche Teilnahme von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu. Der Internationale Strafgerichtshof hatte Ende November gegen ihn Haftbefehl wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen erlassen.
Auf Drängen von Präsident Duda verabschiedete die polnische Regierung einen Beschluss, wonach Netanjahu keine Verhaftung befürchten muss, sollte er am Auschwitz-Gedenken teilnehmen. Trotzdem wird Netanjahu nun nicht dabei sein. Die israelische Delegation wird nun von Bildungsminister Joav Kisch geführt.