Oleg Mandić kam im Sommer 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz. Als er krank wurde und auf die Infektionsstation musste, schrieb der Junge einen sehnsüchtigen Brief.

Oleg Mandić kam im Sommer 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz. Als er krank wurde und auf die Infektionsstation musste, schrieb der Junge einen sehnsüchtigen Brief.

Juli 1944: Nach drei Tagen in einem abgedunkelten Zugwaggon kamen Oleg Mandić, seine Mutter Nevenka und Großmutter Olga im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an – als politische Gefangene, denn Olegs Vater und Opa kämpften als kroatische Partisanen gegen die Deutschen. Oleg, damals elf, kam zunächst ins Frauenlager. Dann fiel auf, dass er älter war als zehn Jahre, er galt damit als arbeitsfähig. Durch die Angst, von seiner Familie getrennt zu werden, bekam er Fieber – und landete auf der Infektionsstation. Von dort schrieb er den folgenden Brief an seine Mutter. Das Original ist auf Kroatisch.

13. Oktober 1944

Liebe Mutti! 

Wenn du nur wüsstest, wie sehr ich mich ohne dich langweile, warum kommst du nie zum geschlossenen Fensterchen mit dem Papier, das ich als Signal setzte, damit du weißt, wo ich liege, wie ich es dir über die Ärztin Anita und die „Generalin“ mitteilte. Jetzt sind wir gerade von den Flugabwehrkanonen hier in der Nähe erschrocken!

Gestern war die rote „Capo“ da und sie brachte in ihren Taschen einigen von uns einen Lebkuchen, und am Abend kam die Oberschwester; dann rief mich die Ärztin, ich setzte mich hin und die Oberschwester wunderte sich sehr, dass ich hier bin. Sie kommt jeden Tag zu einem ihrer Lieblinge, und so sieht sie auch mich. Vielen Dank für das, was du mir gestern geschickt hast. Komm heute Abend zum Fenster in eurem Raum. 

stern-Autorin Helen Bömelburg besuchte Oleg Mandić, 91, in seinem Haus in Opatija, Kroatien. In seinem Arbeitszimmer bewahrt er Fotos, Dokumente und auch einen Stein aus dem Krematorium Auschwitz auf. Mandić engagiert sich seit Jahrzehnten gegen Faschismus, hält Vorträge und tritt in Schulen auf
© Jana Mai

Mir geht es sehr gut, denn hier ist eine, die sehr gut zu mir ist; stell dir vor, am ersten Abend gab sie mir ihr Kissen und am zweiten Abend hat sie es vergessen, denke ich, sie gab mir auch ein Stück (das folgende Wort ist schwer lesbar, wahrscheinlich: Brotkruste) für mein Tuch. Denn das blieb in der 20 (gemeint ist wahrscheinlich die Baracke Nr. 20, wo Oleg Mandić zuvor war) zusammen mit der Unterhose. Heute geht es ihr aber sehr schlecht (nachts 40, morgens 38,8 Fieber), also gab ich ihr ein bisschen von dem trockenen Brot. 

Am ersten Abend kam die gute schwarzhaarige Mariša aus der 20 und brachte mir Weißbrot mit Butter und Salami. Wir bekommen hier frühmorgens ein bisschen Brot zum Essen, später bekomme ich die Jugoslawische Suppe, dann kommt der Kaffee und ich bekomme Brot (davon lege ich mir fürs Mittagessen zur Seite). Zum Mittagessen esse ich fast nichts. Später bekommen wir am Abend nur Brot. Ich huste, bin erkältet, habe ein Loch im Zahn, mein Rücken und meine Brust jucken, aber man sieht nichts. Ich werde 15 Tage lang hierbleiben müssen.

Viele Grüße an Oma; auf Wiedersehen.

Viele, viele, viele Küsse von Oleg.

Jetzt habe ich den Brief nochmal geöffnet, um dir eine unangenehme Nachricht mitzuteilen. Jetzt am Abend habe ich Fieber gemessen und hatte 38, und am Morgen waren es 37,2. Viele, viele Küsse. 

STERN PAID 05_25 Auschwitz IV 18.00

Nach der Befreiung des Lagers am 27. Januar 1945 war Oleg Mandić eines der letzten Kinder, die gerettet wurden. Am 4. März ging er durch das berühmt gewordene Torhaus von Birkenau in die Freiheit. Seine ganze Familie hat ebenfalls überlebt.