Die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel versprach bei RTL erneut radikale Steuersenkungen. Doch zu den Auswirkungen auf eine Durchschnittsfamilie hatte sie keine Antwort.

Die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel versprach bei RTL erneut radikale Steuersenkungen. Doch zu den Auswirkungen auf eine Durchschnittsfamilie hatte sie keine Antwort.

Die Spitzenkandidatin hat wieder das erzählt, was sie zumeist erzählt in diesem Wahlkampf. Nur ihre AfD, sagt Alice Weidel, wolle in einer Regierung konsequent die Steuern senken, für die Unternehmen, aber auch für die Bürger. 

Der Solidaritätszuschlag solle sogar ganz abgeschafft werden. Stattdessen gebe es ein Familiensplitting, bei dem auch die Kinder steuerlich angerechnet würden. 

Doch dann wird die Werberede gestoppt. Pinar Atalay interviewt für RTL an diesem Montagabend die erste Kanzlerkandidatin, die von der AfD jemals aufgestellt wurde. Und die Moderatorin ist gut vorbereitet.

Um welche Summe genau, fragt Atalay, werde dann eine vierköpfige Durchschnittsfamilie entlastet. Jahreseinkommen 40.000 Euro brutto, Alleinverdiener, zwei Kinder?

Alice Weidel – schwarzer Rollkragenpullover, graues Sakko, hellgraues Einstecktuch – versucht es erst einmal mit ihrer bevorzugten Interviewtaktik. Sie weicht aus. Kolumne Ost 25-1 18:11

Alice Weidel: „Die Zahlen sind falsch!“

„Meistens bin ich als Volkswirtin zu lange bei den Zahlen“, sagt sie, um dann natürlich keine Zahl zu nennen. „Aber ich will mit Ihnen über den Grundsatz sprechen“, also mehr Netto vom Brutto und weniger Inflation …

Aber was sei denn nun mit der konkreten Entlastung, fragt Atalay nach. Das Mannheimer Leibniz-Institut für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) gehe in einem Gutachten davon aus, dass die von ihr beschriebene Kleinverdiener-Familie sogar noch weniger Geld herausbekäme als zuvor – und zwar 440 Euro im Jahr. 

Jetzt schaltet Weidel abrupt um. Sie beendet ihr Ausweichmanöver und flüchtet sich in die Gegenoffensive. „Die Zahlen sind falsch!“, sagt sie. „Sie müssen sehen, dass die Institute politisch angesteuert sind.“ Das ZEW etwa sei „sehr SPD-lastig“.

Und damit sind wir schon mittendrin in der neuesten Sonderausgabe von „RTL direkt“. Der Sender, zu dem auch der stern gehört, gibt im Wahlkampf allen Spitzenkandidaten der Bundestagsparteien die Chance, ihr Programm vorzustellen.

Es läuft ziemlich gut für die AfD-Chefin

Vergangene Woche waren SPD-Kanzler Olaf Scholz, der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz zu Gast. Diese Woche kommen die Chefs von FDP, Linke, BSW und AfD, also Christian Lindner, Jan van Aken und Sahra Wagenknecht – und eben Alice Weidel. 

Sieht man einmal von den kritischen Fragen im RTL-Studio ab, läuft es derzeit ziemlich gut für die AfD-Vorsitzende. Spätestens seit ihrer Kür zur Kanzlerkandidatin vor gut einer Woche auf dem Parteitag in Riesa ist sie auch offiziell die Nummer 1 in der AfD. In den Umfragen liegt die Partei stabil bei 20 Prozent. Das ist, zumindest vorerst, Platz 2 hinter der Union.

Auch das, was außerhalb Deutschlands geschieht, beschwingt die AfD. Der nationale, sich autoritär gebärdende Radikalpopulismus hat weltweit Konjunktur. Während Weidel ihr Interview gibt, wird in Washington D.C. zum zweiten Mal Donald Trump ins Amt eingeführt. AfD Riesa Analyse Sonntag 6.06

Weidel setzt „große Hoffnungen“ in Donald Trump

Natürlich wird die AfD-Chefin von Atalay auch zum US-Präsidenten befragt. Was sie sich von ihm erwarte? „Donald Trump hat in seiner vergangenen Amtszeit zumindest erstmal gar keinen Krieg angefangen“, antwortet Weidel. „Das ist schon mal gut.“ Zudem habe Trump in seinem Wahlkampf den Frieden in der Ukraine nach vorne gestellt. Insofern verbinde die AfD mit ihm „natürlich neue und große Hoffnungen“.

Der US-Präsident, sagt die Moderatorin, habe auch angekündigt, die Grenzen nach Mexiko mit Soldaten zu schützen und Millionen von Einwanderern auszuweisen. Wäre das auch etwas, was die AfD machen würde? 

Wieder weicht Weidel aus und setzt dafür zu einer längeren Erklärung an: „Wir sagen ganz klar, dass in Deutschland wieder Recht und Gesetz umgesetzt werden müssen …“ Atalay hakt gleich zweimal hintereinander nach: mit Soldaten? „Wie das die Bundespolizei tut, das bleibt ihr überlassen“, antwortet die Kandidatin. 

Frauke Petry als Warnung

Dass sich die AfD-Kanzlerkandidatin derart vorsichtig äußert, dürfte mit dem Eklat zu tun haben, den Frauke Petry im Jahr 2016 produzierte. Ähnlich wie Weidel hatte die damalige AfD-Vorsitzende strikte Grenzkontrollen gefordert, inklusive Sicherungsanlagen und Zurückweisungen. Dabei, sagte sie, müssten Grenzpolizisten „notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen“. Es folgte maximale Empörung, Petry musste relativieren.

Diese Zuspitzung vermeidet die aktuelle Parteichefin. Und so lässt sich zumindest an dieser Stelle nicht die Beobachtung einer immer extremeren AfD festmachen. 

Doch die Zitate, die während des Interviews in einem kurzen Film eingespielt werden, klingen anders. Es ist eine Hitliste der berüchtigtsten Weidel-Sprüche, von den „Kopftuch-Mädchen“ und „alimentierten Messer-Männern“ aus ihrer Bundestagsrede 2018 bis zur Wir-reißen-alle-Windkraftwerke-nieder-Parole ihrer Parteitagsansprache in Riesa.

„Das ist ein Framing, das gegen uns arbeitet“

Nachdem Weidel sich das alles angehört hat, wird im Studio die Grafik einer repräsentativen forsa-Umfrage eingeblendet. Laut den Zahlen halten 79 Prozent der Deutschen die AfD für eine rechtsradikale Partei. 

Das Resultat der Erhebung wirkt plausibel, entspricht es doch dem Anteil jener Deutschen, die nicht AfD wählen. Und dieser Anteil ist immer noch die große Mehrheit. Doch das möchte die AfD-Kanzlerkandidatin selbstverständlich anders betrachtet haben. 

„Das ist ein Framing, das gegen uns arbeitet“, sagt sie. „Die Leute nehmen das sowieso heute nicht mehr ab.“ Die AfD sei eine „konservativ-liberale Partei“, die für Freiheit stehe: „Ich habe als Zielbild, dass wir eine freie Gesellschaft sind, dass wir wieder reich und sicher sind.“ Musk Weidel.   12.00

Müllermilch für die Kanzlerkandidatin

Das klingt dann wieder so ähnlich die Inaugurationsrede von Donald Trump. Sei eigentlich der US-Präsident auch mit seiner Personalauswahl ein Vorbild für die AfD, will Atalay von Weidel wissen. Wenn in den USA Superreiche wie Elon Musk mitmischten, könnte dann auch Theo Müller von Müllermilch, der die AfD-Chefin als Freundin bezeichne, eine Rolle in einer AfD-geführten Regierung spielen?  

Natürlich könnte er, antwortet Weidel. Es täte dem politischen Betrieb gut, wenn „deutlich mehr Menschen mit wirtschaftspolitischem Sachverstand“ ihre Erfahrungen einbrächten. „Dementsprechend kann ich mir das sehr, sehr gut vorstellen, einen Elon Musk in der Regierung zu haben, oder einen Peter Thiel – oder natürlich auch einen wie Theo Müller.“

Peter Thiel ist übrigens jener deutschstämmige Milliardär, der wie Musk Monopole toll findet und sogar noch stärker gegen den freien Wettbewerb agitiert. Wie sich diese Einstellung mit dem von Weidel so hochgehaltenen Prinzip der Marktwirtschaft verträgt – dies wäre vielleicht ein anderes Mal bei einem Glas Müllermilch zu besprechen.

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