Altmeister oder Möchtegern? David Lynch ist mit 78 Jahren gestorben. Abschied von einem großen Filmemacher.
Selten kopiert, nie erreicht: Regisseur David Lynch (1946-2025), der es wie kein Zweiter zu verstehen wusste, surreale Welten auf Film zu bannen, ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Seine Familie verkündete den Tod des Filmemachers auf dessen offiziellem Facebook-Account: „Er hinterlässt ein großes Loch in der Welt, da er nun nicht mehr unter uns weilt. Aber, wie er sagen würde: ‚Behalte den Donut im Auge und nicht das Loch.'“
Fällt in einer Runde von Filmfreunden der Name David Lynch, scheinen sich wie durch Zauberhand zwei nicht allzu kompromissbereite Lager zu bilden. Die einen lieben Lynchs surreale Welten und die extra Portion Analysebereitschaft, die sie den Zuschauerinnen und Zuschauern abverlangen. Die anderen erkennen in seinen wirren Erzählungen nicht mehr als prätentiöses Möchtegern-Kunst-Kino, das von seiner Willkür lebt. Lynch hat polarisiert, das steht außer Frage.
David Lynch hatte die Absurdität gepachtet
Im Buch „Lynch über Lynch“ schilderte er: „Meine Kindheit bestand aus eleganten Einfamilienhäusern, Alleen, dem Milchmann, Burgenbauen im Garten, Flugzeuggebrumm, blauem Himmel, Gartenzäunen, grünem Gras und Kirschbäumen.“ Gleich mit seinem ersten Langfilm schien Lynch all diese kindliche Idylle so gut es ging zu negieren. „Eraserhead“ aus dem Jahr 1977 kam mit einem mühsam zusammengesparten Budget von 20.000 Dollar als eine Ode an das Abstrakte daher. In einer postapokalyptischen Welt, die irgendwo zwischen Alptraum und Realität zu verordnen ist, geht es um deformierte Menschen und – wie der Titel verrät – menschliche Köpfe, die zu Radiergummis verarbeitet werden.
Mit Filmen wie „Blue Velvet“, „Wild At Heart“, „Lost Highway“ und seinem wohl bekanntesten, „Mulholland Drive„, setzte Lynch seinen Siegeszug als Meister der Surrealität fort, wobei erstgenannter Film wohl noch der stringenteste ist. Darin dröselt Lynch in Film-Noir-Optik die vermeintliche Idylle einer US-Kleinstadt auf und offenbart das Düstere, Böse, das stets im Verborgenen lauert. Rund sechs Jahre später sollte mit „Twin Peaks“ und erneut Kyle MacLachlan (65) in der Hauptrolle eine Serie ins US-Fernsehen kommen, die optisch und erzählerisch sehr stark an „Blue Velvet“ erinnerte.
Bei „Wild At Heart“ mit Nicolas Cage (61) handelte es sich hingegen ganz klar um eine Hommage an den Film „Der Zauberer von Oz“, aus dem Lynch eine Art Märchen-Roadmovie bastelte. Mit „Lost Highway“ und „Mulholland Drive“ offenbarte Lynch sein Faible, mit den Identitäten seiner Figuren zu spielen. So wechseln sich in beiden Filmen scheinbar wahllos einige Charaktere ab. Steht dieser Kunstgriff für Tagträume, frühere Leben, oder etwas gänzlich anderes? Wie bei vielen seiner Produktionen gibt es auch in „Mulholland Drive“ keine klare, lineare Handlung und dagegen viel Raum für Interpretation.
Ein normaler David Lynch?
Doch nicht immer hatte sich Lynch dem surrealen Kino verschrieben. Gleich sein zweiter Film „Der Elefantenmensch“ beruhte auf wahren Begebenheiten. Es geht um den bemitleidenswerten John Merrick (John Hurt), der aufgrund einer körperlichen Deformation auf einem Jahrmarkt als Elefantenmensch zur Schau gestellt wird. Erst der Chirurg Frederick Treves (Anthony Hopkins) erkennt, dass es sich bei ihm um kein Monster, sondern einen freundlichen und intelligenten Mann handelt. „Der Elefantenmensch“ wurde für acht Oscars nominiert, von denen er allerdings keinen ergattern konnte.
Eine wahre Geschichte erzählte Lynch auch in „The Straight Story“. Darin begibt sich ein älterer Herr mit seinem Aufsitzrasenmäher auf eine Reise quer durch die USA, um seinen kranken Bruder zu besuchen. Und auch das Sci-Fi-Opus „Dune“ von 1984, basierend auf dem gleichnamigen Buch von Frank Herbert (1920-1986), ist für Lynchs Verhältnisse ungemein gradlinig. Später konzentrierte er sich unter anderem auch auf das Genre des Kurzfilms, mit dem er 1966 einst seine Karriere begann.
Sein letztes Ticket
Im Sommer 2024 machte der nahezu buchstäblich lebenslange Raucher Lynch öffentlich, dass bei ihm ein Lungenemphysem diagnostiziert worden war. Schon im zarten Alter von acht Jahren soll der 1946 in Missoula im US-Bundesstaat Montana geborene Regisseur damit angefangen haben. „Rauchen war ein wichtiger Teil meines Lebens“, sagte Lynch im vergangenen November noch dem „People“-Magazin. „Ich liebte den Geruch und den Geschmack von Tabak. Ich liebte es, Zigaretten anzuzünden. Es gehörte für mich zu meinem Dasein als Maler und Filmemacher dazu.“ Jetzt habe er jedoch schließlich geerntet, was er gesät habe. Im wahrsten Sinne des Wortes spiele man als Raucher mit dem Feuer.
David Lynch habe in seinem Leben viele Male versucht, mit dem Rauchen aufzuhören, geschafft hat er es aber nie wirklich. Die erste Zigarette sei für ihn immer wieder wie eine Einzelfahrkarte in den Himmel gewesen, erzählte er. Und auch das Ticket an die Seite anderer verstorbener Filmgrößen hat Lynch schon vor Jahrzehnten gelöst.