Wenn Lügen auf Meta-Plattformen wie Facebook verbreitet werden, landen sie bei Uschi Jonas. Doch Gründer Mark Zuckerberg will die Kooperation mit Faktencheckern wie ihr abschaffen.
Frau Jonas, Sie kooperieren als unabhängige Faktencheckerin mit Facebook – was heißt das überhaupt?
Wir sind eine journalistische Redaktion, die mit Faktenchecks Desinformation im Netz begegnet und von zwei internationalen Netzwerken zertifiziert ist. Unsere Arbeit unterliegt sehr hohen journalistischen Standards, die regelmäßig geprüft werden: Unabhängigkeit, Überparteilichkeit, Transparenz, oder dass wir ausreichend Quellen angeben.
Wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen?
Im Faktencheckteam von Correctiv durchsuchen jeden Tag 13 Journalistinnen und Journalisten soziale Netzwerke nach potenziellen Falschbehauptungen. Auf den Plattformen von Meta, aber auch bei X, Tiktok, Telegram oder Youtube. Auch Bürgerinnen und Bürger schicken uns Themen zu. Da es aber leider viel mehr Behauptungen im Netz gibt, als wir prüfen können, müssen wir auswählen. Dann entscheiden wir anhand verschiedener Kriterien wie Viralität – also der Verbreitung – Relevanz oder dem potenziellen Schaden, den ein Thema mit sich bringt, ob wir einen Faktencheck recherchieren.
Zur Person: Uschi Jonas Correctiv
Wie sieht dann die Zusammenarbeit mit dem Facebook-Konzern Meta aus?
Meta arbeitet seit 2016 mit Faktencheck-Redaktionen aus aller Welt zusammen. Correctiv ist seit 2017 dabei. Dafür werden wir auch vergütet, wir arbeiten aber vollständig unabhängig. Meta ruft nicht an und schlägt uns Themen vor. Sondern wir entscheiden selbstständig, wozu wir recherchieren. Wenn wir einen Faktencheck veröffentlichen, versehen wir entsprechende Beiträge auf den Meta-Plattformen mit einem Warnhinweis, der zu unserem Artikel führt.
Wenn Sie einen Beitrag überprüfen, wird also nichts gelöscht?
Nein. Wenn Nutzerinnen und Nutzer auf den Beitrag klicken, können sie den Warnhinweis entweder annehmen und sich dann zu unserem Faktencheck weiterklicken. Oder sie klicken ihn einfach weg und sehen den Beitrag wie immer. Meta gibt an, dass zudem die Reichweite der Beiträge, die mit einem Warnhinweis versehen sind, eingeschränkt wird.
Wenn Nutzer Beiträge melden, landen die also nicht bei Ihnen?
Nein.
Sind Sie bei Ihrer Arbeit trotzdem mit Gewalt, Pornografie oder ähnlichem konfrontiert?
Es kommt schon mal vor, dass wir etwa Gewaltdarstellungen oder Holocaustleugnung zu sehen bekommen, Pornografie eher selten. Wir verhalten uns dann wie normale User und melden diese Inhalte, wenn wir sie sehen. Dann kümmert sich das Community Management von Meta darum.
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Ein Experte sagte dem stern, dass irreführende oder falsche Informationen häufig von rechten bis rechtsextremen Kreisen verbreitet werden. Beobachten Sie das auch?
Unsere Faktenchecks decken ein breites politisches Spektrum ab, Falschbehauptungen gibt es aus allen politischen Richtungen – aber ja, das zeigt unsere Erfahrung und das belegt auch die Forschung: Besonders die rechte Szene setzt Desinformation bewusst ein. Manche Akteure haben daraus ein Geschäftsmodell gemacht. Gerade aus dieser Richtung wird seit Jahren versucht, unsere Arbeit zu diskreditieren und uns einen politischen Bias zu unterstellen.
Von diesem Bias – also einer Verzerrung oder Voreingenommenheit – hat auch Meta-Chef Mark Zuckerberg gesprochen, als er ankündigte, Faktenchecks bei Meta in den USA abzuschaffen.
Menschen sind subjektive Lebewesen. Wir alle nehmen die Welt aus einem anderen Blickwinkel wahr. Aber die Frage ist, wie geht man mit diesem Blickwinkel um? In unserer Redaktion haben wir höchste, öffentlich einsehbare Richtlinien, was Überparteilichkeit, Transparenz oder Neutralität betrifft. Wir haben zwei Redigaturschleifen, die darauf achten, dass es diesen Bias nicht gibt, weil er die Arbeit von Faktencheck-Redaktionen kaputt machen würde. Es ist nicht unsere Aufgabe, Themen in eine Richtung zu schieben oder zu interpretieren. Unser Ziel ist es, neutrale Fakten zu liefern.
Bekommen Sie deshalb viel Hass ab?
Definitiv. Als Journalistin habe ich an keiner anderen Stelle in meinem Berufsleben mehr Reaktionen von Leserinnen und Lesern bekommen als jetzt. Es sind auch positive Rückmeldungen und Mails dabei, in denen sich Menschen für unsere Arbeit bedanken, weil sie einen fundierten Artikel bekommen haben, auf dessen Basis sie mit Freunden und Kollegen diskutieren können. Es prasseln aber auch Beleidigungen und Drohungen auf uns ein. Hass kommt in Wellen, je nachdem, worüber gerade diskutiert wird.
Gibt es Themenbereiche, in denen es besonders viele Fake News gibt?
Der Bereich Gesundheit, schon vor der Corona-Pandemie. Aber auch der Klimawandel oder Migration, weil Beiträge dazu oft viral gehen und im Zweifel viel Wut auslösen. Es kommt auch darauf an, wem eine Aussage zugeschrieben wird. Bei Zitaten von bekannten Persönlichkeiten wie Politikern schauen wir oft genauer hin, ob die erfunden, aus dem Kontext gerissen oder manipuliert sind. Aber auch aktuelle Ereignisse, Wahlen, Kriege und Konflikte sind immer Nährboden für Desinformation.
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Fällt Ihnen der haarsträubendste Post ein, bei dem Sie überrascht waren, wie viel Zuspruch er bekommen hat?
Oh ja. Während der Corona-Pandemie wurden Videos verbreitet, die zeigen sollten, dass die Teststäbchen von Corona-Selbsttests angeblich bewusst mit Würmchen oder Metallfäden bestückt worden seien …
Ich erinnere mich an diese Videos.
… die hatten Millionen von Aufrufen! Waren aber falsch und nah dran an einer Verschwörungserzählung. Am Ende stellte sich heraus: Das waren Partikel wie Fussel, die teilweise von minimalen Luftzügen bewegt wurden. Jedenfalls keine Lebewesen oder ähnliches, wovon eine Gesundheitsgefahr ausgegangen wäre. Aber das Thema wurde so groß, dass Leute sogar bei der Polizei angerufen haben, um nachzufragen, ob da was dran ist. War es nicht.
Sie konnten dem mit Faktenchecks begegnen – künftig will Mark Zuckerberg Falschinformationen mit sogenannten „Community Notes“ begegnen. Ähnlich wie Elon Musk bei X.Mit Ihrer Erfahrung als Faktencheckerin, wie effektiv sind die?
Community Notes haben den Vorteil, dass sie in manchen Fällen eine schnelle, sinnvolle, erste Einordnung sein können, damit Nutzer zumindest stutzig werden, wenn sie einen Post sehen. Aber diese Anmerkungen werden nicht unabhängig geprüft, sie unterliegen keinen journalistischen Standards. Es ist deshalb sehr leicht, sie zu missbrauchen. Eine Gruppe von Usern könnte zum Beispiel einen inhaltlich korrekten Beitrag mit Falschinformationen versehen und dadurch Menschen in die Irre führen.
Positiv betrachtet: Vielleicht macht das neue Vorgehen Social-Media-Nutzer achtsamer.
Absolut, wir finden es auch wichtig, Bürgerinnen und Bürger in unsere Arbeit mit einzubeziehen. Ich glaube, die Community Notes hätten eine gute Ergänzung sein können, anstatt die Faktenchecks dadurch vollständig zu ersetzen. Noch ist aber nicht klar, wie Meta die neuen Regeln umsetzen möchte.
Wie beobachten Sie die Entwicklung von Twitter, seitdem Musk vor zwei Jahren das Netzwerk gekauft hat?
Aus Faktenchecker-Perspektive wird die Lage dort immer schlechter. Gerade zu Beginn der Eskalation im Nahen Osten hatten wir zum Teil das Gefühl, der Lage kaum noch Herr zu werden, so viele Falschbehauptungen machten die Runde. Der Ton dort wird immer rauer — und das System mit den Community Notes funktioniert definitiv nicht optimal.
Wird Facebook in zwei Jahren das X von heute?
Mir graut es davor, mir vorzustellen, wie Facebook in zwei Jahren aussieht. Ich war auch erstaunt über die Entscheidung von Zuckerberg. Er hatte das Programm 2016 zur ersten Amtszeit von Donald Trump gestartet und es hat über acht Jahre gut funktioniert. Das belegt unsere Wahrnehmung als Redaktion, genauso wie Analysen von Meta. Aber auch externe Studien haben die positive Wirkung des Faktencheck-Programms bestätigt.
Vor Trumps zweiter Amtszeit spricht Zuckerberg nun von „Zensur“. Wie fühlen Sie sich, wenn Sie einen solchen Kampfbegriff als Beschreibung Ihrer Arbeit hören?
Es ärgert mich, es ärgert meine Redaktion. Aus meiner Perspektive hat die bewusste Verbreitung von Lügen nichts mit Meinungsfreiheit zu tun. Desinformation spaltet die Gesellschaft, sie schadet Menschen. Wir wollen mit unserer Arbeit nüchterne Informationen liefern und aufklären, damit Menschen sich ihre eigene Meinung bilden können. Unsere Arbeit unterstützt die Meinungsfreiheit. Sie ist das Gegenteil von Zensur.
Wann wäre für Sie persönlich der Punkt erreicht, an dem Sie Facebook, Instagram und Co. verlassen würden?
Ich bleibe, solange die jeweilige Plattform für mich ein Ort ist, an dem ich mich gerne austausche und informiere. Wenn der Ton vermehrt hasserfüllt und diskriminierend sein sollte, würde ich wahrscheinlich keinen Sinn mehr darin sehen, mich dort aufzuhalten. Bisher sind wir auch weiterhin auf X und veröffentlichen dort unsere Faktenchecks. Solange wir Menschen mit Aufklärung noch erreichen, bleiben wir auch da.