Die Debatte über Deutschlands Wehretat kann einen schwindeln lassen, von bis zu 200 Milliarden Euro jährlich ist schon die Rede. Wo würde das Geld herkommen?

Die Debatte über Deutschlands Wehretat kann einen schwindeln lassen, von bis zu 200 Milliarden Euro jährlich ist schon die Rede. Wo würde das Geld herkommen?

Es war ein Hilferuf: „Die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da“, postete der Chef des deutschen Heeres, Alfons Mais, am Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine auf LinkedIn. Drei Jahre später klingt diese Warnung aktueller denn je – und mündet in eine beispiellose Debatte um den Verteidigungshaushalt des reichsten europäischen Landes.

Die Zahlen, die dabei im Raum stehen, lassen selbst hartgesottene Haushälter schlucken: Der Robert Habeck, Wirtschaftsminister und grüner Kanzlerkandidat, fordert ein Verteidigungsbudget von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – umgerechnet etwa 140 Milliarden Euro jährlich. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hält immerhin drei Prozent für angemessen, was etwa 120 Milliarden Euro entspräche.

Interview Masala 18.16

Und Donald Trump? Der kommende US-Präsident verlangt von den Nato-Partnern gar fünf Prozent des BIP für die Verteidigung – für Deutschland wären das in etwa schwindelerregende 200 Milliarden Euro pro Jahr. In den fünf Jahren bis 2030 wären hier also eine Billion Euro für Verteidigung fällig. Das ist in dieser Höhe unrealistisch, klar – aber die Verteidigungsausgaben werden wohl stark steigen.

Die astronomischen Summen haben eine Vorgeschichte: Nach der Wiedervereinigung kassierte Deutschland seine „Friedensdividende“ ein und kürzte den Verteidigungshaushalt drastisch. Hätte die Bundesrepublik weiter auf dem Niveau der 1980er Jahre in die Bundeswehr investiert, wäre der Staat heute um eine halbe Billion Euro ärmer – aber militärisch deutlich besser aufgestellt. Zurzeit gibt der deutsche Staat in etwa 70 Milliarden für die Bundeswehr und 90 Milliarden für Sicherheit insgesamt aus. Dieser Verteidigungshaushalt ist in den letzten Jahren bereits stark gestiegen.

Mehr Geld für Waffen: Olaf Scholz beschloss 2022 das „Sondervermögen Bundeswehr“ in Höhe von 100 Milliarden Euro
© Gregor Fischer

Die Gretchenfrage beim Haushalt: Schulden machen oder sparen?

Doch wie soll Deutschland die gewaltigen Summen stemmen? Die Grünen um Robert Habeck setzen auf neue Schulden. Und auch in der Union mehren sich die Stimmen nach einem neuen Sondervermögen – sollte der Verteidigungshaushalt mehr Mittel benötigen, als durch Einsparungen in anderen Bereichen frei werden. 

Doch Ökonomen schlagen Alarm. „Wenn wir dauerhaft viel mehr für Verteidigung ausgeben müssen – und danach sieht es gerade leider aus – kann das nicht einfach durch immer höhere Schulden finanziert werden“, warnt die Ökonomin Désirée Christofzik im stern.

Interview Scholz Heft 05.49

Niklas Potrafke vom Münchner ifo Institut wird noch deutlicher: „Kernaufgabe der Politik ist es, Prioritäten zu setzen. Deutschland wird nicht nach Belieben konsumtive und investive Ausgaben erhöhen können.“ Seine klare Position: „Verteidigung ist eine Kernaufgabe des Staates und gehört deshalb in den Kernhaushalt.“ Rüstungsausgaben sollen also nicht durch neue Sondervermögen – die außerhalb des normalen Haushalts gebucht sind – finanziert werden. 

Wo also sparen? Potrafke hat eine kontroverse Antwort: „Der größte Posten im Bundeshaushalt sind Zuschüsse in die Rentenversicherung – alsbald 130 Milliarden Euro im Jahr. Das ist eine klassische konsumtive Ausgabe. Wir haben es über Jahre verschlafen, wesentliche Strukturreformen anzugehen. Ein prominentes Beispiel ist der Umgang mit dem demographischen Wandel. Wir sollten nun dringend zusehen, durch entschlossenes Anpassen des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung die Zuschüsse in die Rentenversicherung zu reduzieren.“

Ein explosiver Vorschlag im Wahlkampf

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Auch der Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel), Moritz Schularick, sieht im Rentenzuschuss aus dem Bundeshaushalt Einsparpotenzial. Zwar wären kurzfristig neue Kredite unvermeidbar. „Langfristig werden wir aber nicht umhinkommen, durch Reformen und Umschichtungen zusätzliche Spielräume zu schaffen“, sagt er dem stern. Das würde auch den Bundeszuschuss zum Rentensystem betreffen müssen. Es wäre nur fair, so Schularick, wenn die Generation, die das Rentensystem nicht reformiert hat und von der Friedensdividende profitiert, auch einen Teil der gestiegenen Kosten tragen muss.  

Die Aussicht, Renten oder soziale Ausgaben zu kürzen, um für Verteidigung zu zahlen, dürfte politisch explosiv sein – ein Vorschlag, den im Wahlkampf wohl niemand laut aussprechen will. 

Dabei ist nicht einmal sicher, ob mehr Geld automatisch mehr Sicherheit bedeutet. „Es kann sein, dass wir deutlich mehr ausgeben für Verteidigung, aber dafür am Ende keine viel höhere Verteidigungsfähigkeit bekommen – weil, ganz plakativ gesprochen, der Panzer eben auch deutlich mehr kostet als vorher“, gibt Christofzik zu bedenken. Denn: Eine steigende Nachfrage treibt auch die Preise für Rüstungsgüter in die Höhe.

Industrie verspricht Lieferbereitschaft

Und: Könnte so viel Geld – zwei bis dreimal so viel wie bisher – überhaupt ausgegeben werden? Gibt es so viele Waffen, die die Bundeswehr kaufen kann? Die deutsche Rüstungsindustrie, die natürlich hofft, von höheren Rüstungsausgaben zu profitieren, sieht keine Probleme. „3,5 Prozent entspräche vermutlich in etwa den Nato-Anforderungen, die die Bundesregierung im Wesentlichen bereits zugesagt hat“, sagt Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV).

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Würde der Wehretat dermaßen steigen, dann, so der Experte, „kommt da ein ganz anderer Drive rein“ und würde Investitionen nach sich ziehen. „Dann werden Unternehmen mehr auf eigenes Risiko machen.“

Ein Sprecher von Rheinmetall bekräftigt: „Die Kapazitäten zur Herstellung von Verteidigungstechnologie lassen sich je nach Bedarf entsprechend steigern“, sagt er. Etwa durch den Bau neuer Fabriken.

Die Industrie will vor allem Planungssicherheit

Allerdings, so Atzpodien, sei Planungssicherheit die „unabdingbare Voraussetzung“ für entsprechende Investitionen. „Diese Planungssicherheit lässt sich insbesondere durch großvolumige Rahmenverträge und fest vereinbarte Abrufe herstellen.“ Auch brauche die Industrie bessere Rahmenbedingungen, „um schneller in die Gänge zu kommen, also ein Rüstungsbeschleunigungsgesetz“, sagt Atzpodien. 

Die Rüstungsausgaben werden aller Voraussicht nach massiv steigen. Das wird den Staat viel Geld kosten – entweder über Einsparungen im Haushalt oder Zinsen für neue Schulden. Die Frage, mit dem Blick auf die Wahl im Februar, ist nun: Welchen Preis sind die Wähler bereit zu zahlen?