Allianz-Chef Oliver Bäte schlägt vor, die Lohnfortzahlung für den ersten Krankheitstag zu streichen. Die Idee ist brisant – zeigt aber den Ernst der Lage.
Der Vorschlag hat es in sich: Arbeitnehmer, die sich krankmelden, sollen für den ersten Krankheitstag keine Lohnfortzahlung mehr bekommen. Geht es nach Oliver Bäte, Vorstandschef des Allianz-Konzerns, könnte das so kommen. Das Gehalt für einen Tag? Klingt verschmerzbar. Ist es für viele aber nicht. Gerade jetzt, wo vieles immer teurer wird, sind die Budgets vieler Menschen eng auf Kante genäht.
Bundespolitik schweigt, Allianz-Chef geht voran
Bäte weiß das. Seine streitbaren Gedanken äußert er trotzdem – mutig. Von der Politik sind solche unpopulären Überlegungen derzeit nicht zu erwarten. Die Wahlkämpfer wollen Stimmen. Gerade jetzt machen sie deshalb weitere Wohlstandsverluste nur ungern zum Thema. Die Angst vor sinkenden Zustimmungswerten ist zu groß. Doch Bäte spricht Klartext: „Deutschland ist mittlerweile Weltmeister bei den Krankmeldungen“. Das erhöhe die Kosten im System.
Die Debatte, welche Einschränkungen zumutbar sind, wird geführt werden – nach der Bundestagswahl. Ohne harte Einschnitte wird der vor sich hindümpelnde Standort Deutschland keinen neuen Schwung bekommen. Die Wirtschaft tritt seit drei Jahren auf der Stelle. Licht am Ende des Tunnels ist kaum zu erkennen. Wer anstrengungslosen Wohlstand verspricht, wird durch die Fakten entzaubert. Die jüngsten Beitragserhöhungen vieler Krankenkassen sind nur ein Vorgeschmack auf weitere Hiobsbotschaften, die kommen werden.
Ein „weiter so“ ist nicht möglich. Die Politik wird den Sozialstaat nicht einfach immer weiter ausbauen können. Im Gegenteil. Auch Sozialleistungen müssen erwirtschaftet werden. Im Moment gelingt das nicht.
Deutsche sind überbelastet und erschöpft
Man darf gespannt sein, welche Reformen die Politik wie umsetzt. Der Grat zwischen Leistungsbereitschaft und Überlastung der Menschen ist seit der Corona-Zeit schmal wie selten. Die Faktenlage ist fatal: Im Europa-Vergleich ist Deutschland insgesamt trauriger Spitzenreiter und hat die kürzesten Arbeitszeiten. Die über viele Jahre stolze Stellung als Wachstumslokomotive Europas ist verloren. Und ausgerechnet jetzt bescheinigt eine Studie von der Unternehmensberatung EY den Arbeitnehmern in Deutschland ein im Vergleich besonders großes Motivationsproblem, das sich auf die ohnehin schon niedrigere Produktivität auszuwirken droht. Ein Teufelskreis.
Die Diskussion um die Karenztage, die es beispielsweise in Schweden, Spanien oder Griechenland gibt, ist deshalb nicht nur eine wirtschaftliche Frage, sondern auch eine soziale. Auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer kommen herausfordernde Zeiten zu.
Dieser Artikel erschien zuerst bei ntv.de