Syriens neuer Machthaber reicht Außenministerin Baerbock nicht die Hand. Aufschrei in Deutschland; die Grünen-Politikerin nimmt es relativ gelassen. Doch ein Experte ist besorgt.

Syriens neuer Machthaber reicht Außenministerin Baerbock nicht die Hand. Aufschrei in Deutschland; die Grünen-Politikerin nimmt es relativ gelassen. Doch ein Experte ist besorgt.

Ihr Besuch in Syrien wurde argusäugig beobachtet: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ist gemeinsam mit ihrem französischen Amtskollegen Jean-Noël Barrot nach Syrien gereist, um dort die neue Führung zu treffen.

Erst vor wenigen Wochen hat die islamistische Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) die Diktatur vom langjährigen Machthaber Baschar al-Assad gestürzt. Jetzt ist Ahmed al-Scharaa der De-facto-Herrscher über Syrien.

Die HTS gibt sich gemäßigt, erste Staaten strecken wieder ihre Fühler nach Syrien aus – auch Deutschland und Frankreich, die im Auftrag der EU unterwegs waren.STERN PAID 41_24 Baerbock: „Das wichtigste ist: nicht resignieren“ 05.54

Handschlag für Barrot – nicht für Baerbock

Doch bei dem Doppelbesuch in Damaskus kam es zu einem Eklat: Baerbock musste auf einen Handschlag von al-Scharaa verzichten, der die beiden Politiker im früheren Palast von al-Assad empfing. Barrot habe seine Hand ebenfalls nicht zum Handschlag ausgestreckt. Während der Islamist Baerbock nicht per Handschlag begrüßte, streckte er dem Franzosen jedoch die Hand entgegen.

Nachdem der Franzose zunächst zur Begrüßung seine rechte Hand auf die Herzgegend gelegt hatte, ergriff er dann doch kurz die Hand al-Scharaas. Baerbock blieb da nur, ihre eigenen Hände ineinanderzulegen und zu nicken.

Für Baerbock, die bei der Begegnung kein Kopftuch trug, schien das keine große Überraschung zu sein.

„Schon als ich angereist war, war mir jedenfalls klar, dass es hier offensichtlich nicht gewöhnliche Handschläge geben wird“, sagte die Grünen-Politikerin auf die Frage einer Journalistin.FS Regierungsflieger-Pannen 13.51

Baerbock macht Syriens Machthaber klar: Frauenrechte wichtig

Doch den Vorfall auf sich beruhen lassen will die Außenpolitikerin es auch nicht. Man habe den islamistischen Gastgebern ebenso klar gemacht, dass man diese Praxis missbillige, so Baerbock.

Vor allem habe man im Gespräch klargemacht, dass Frauenrechte ein Gradmesser dafür seien, wie frei eine Gesellschaft ist, sagte Baerbock.

Am Ende schien es aber dann etwas versöhnlicher zuzugehen – oder der Handschlag fiel am Ende der Gespräche offenbar nicht mehr so schwer. Aus Delegationskreisen war zu hören, dass al-Scharaa, bis vor kurzem im Westen als Terrorist geächtet, am Ende des Gesprächs noch mal die Hand ausgestreckt habe, es dann aber nicht mehr zu einem Handschlag gekommen sei.Interview Perthes Handschlag Baerbock 18.15

Experte im stern: „Das ist nicht gut“

Dennoch zeigt sich ein Experte besorgt. Volker Perthes, der frühere Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, bewertete den verweigerten Handschlag als schlechtes Zeichen.

„Das ist nicht gut, auch wenn wir das aus anderen Ländern kennen, wo extrem konservativ-islamische Männer an der Macht sind: Iran etwa und bis vor einiger Zeit auch Saudi-Arabien“, sagte Perthes dem stern.

Er fügte hinzu: „In Syrien gehört das nicht zur Tradition. Ich hoffe, dass al-Scharaa dafür auch in Syrien kritisiert werden wird.“

Ist das Verhalten des Islamisten al-Scharaa, der neuerdings statt Militäruniform Anzug trägt, ein Ausdruck der Respektlosigkeit gegenüber der Grünen-Politikerin und seiner Frauenfeindlichkeit generell?

Europa will Bedingungen für Unterstützung deutlich machen

Ganz so einfach ist es nicht: Der Händedruck zwischen einem fremden Mann und einer fremden Frau ist in islamisch geprägten Gesellschaften unter Gläubigen unüblich – und aus Sicht mancher Rechtsgelehrter sogar verboten. Es gibt aber keine eindeutige Regel und keine dominierende, religiöse Sitte.

Wegen des verweigerten Handschlags geriet der eigentliche Zweck der Reise der beiden Außenminister in den Hintergrund: die Bedingungen für Europas Unterstützung.

„Es braucht jetzt einen politischen Dialog unter Einbeziehung aller ethnischen und religiösen Gruppen, unter Einbeziehung aller Menschen, das heißt insbesondere auch der Frauen in diesem Land“, sagte Baerbock. Europa werde Syrien unterstützen, aber nicht zum Geldgeber neuer islamistischer Strukturen werden.

Die Skepsis erscheint vielen berechtigt: Al-Scharaa war früher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Dscholani bekannt. Die Gruppe HTS ging aus der Al-Nusra-Front hervor, einem Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida.