Nachdem er das Kriegsrecht ausgerufen hatte, war Yoon Suk Yeol, der Präsident von Südkorea, suspendiert worden. Jetzt sollte er verhaftet werden. Die Hintergründe.

Nachdem er das Kriegsrecht ausgerufen hatte, war Yoon Suk Yeol, der Präsident von Südkorea, suspendiert worden. Jetzt sollte er verhaftet werden. Die Hintergründe.

Warum sollte Präsident Yoon Suk Yeol verhaftet werden?

Anfang Dezember rief Yoon völlig überraschend das Kriegsrecht aus. Grund dafür war nicht etwa ein Notstand, sondern ein Streit um den Staatshaushalt im Parlament, in dem die Opposition die Mehrheit hat. Yoon wollte offenbar hart durchgreifen: Angeblich soll er das Militär sogar angewiesen haben, bei Bedarf Waffen einzusetzen, um das demokratisch gewählte Parlament zu stürmen. In der Volksvertretung agierten „staatsfeindliche Kräfte“, so seine nebulöse Begründung. Die Abgeordneten nutzten jedoch in einer dramatischen Sitzung ihr Vetorecht, und Yoon musste das Kriegsrecht schon nach wenigen Stunden wieder zurücknehmen. 

Die Aktion des mittlerweile suspendierten Präsidenten stürzte Südkorea in die schwerste politische Krise seit Jahrzehnten und löste wochenlange Massenproteste in der Hauptstadt Seoul aus. Yoon entschuldigte sich anschließend für das verhängte Kriegsrecht, versprach, es werde nicht wieder vorkommen – und hoffte offenbar, einfach weitermachen zu können. 

Analyse Südkorea 21.57

Den Koreanern reichte die Entschuldigung jedoch nicht. Südkorea ist erst seit Ende der 80er Jahre eine Demokratie, das Land hat eine lange Geschichte von Gewalt- und Militärherrschaft, Zensur, unterdrücktem Widerstand. Dahin wollten die Koreaner nicht wieder zurück. Tausende verlangten auf der Straße die Absetzung des Präsidenten. Ein Impeachment scheiterte zunächst, doch die hartnäckigen Proteste lösten auch ein Umdenken bei der Volksmacht-Partei aus, die die Regierung stellt: Zwölf Abgeordnete stimmten mit der Opposition für die Amtsenthebung von Yoon. Seither ermittelt die Staatsanwaltschaft gemeinsam mit Polizei, Verteidigungsministerium und Antikorruptionsbehörde gegen den suspendierten Präsidenten. Die Zusammenarbeit mit der Behörde verweigerte Yoon jedoch. Da er dreimal nicht zu einer Befragung erschien, erließen die Ermittler einen Haftbefehl gegen Yoon, der zuvor selbst Staatsanwalt gewesen war. 

Warum scheiterte die Verhaftung? 

Yoon und seine Anwälte wehren sich mit aller Kraft gegen die Verhaftung. Der Haftbefehl sei illegal und deshalb unwirksam, argumentieren sie. Yoon kann immer noch auf Unterstützer zählen: Vor seiner offiziellen Residenz versammeln sich seit Tagen seine Anhänger. Yoon hatte dort Flugblätter verteilen lassen: „Korea ist derzeit in Gefahr, weil staatsfeindliche Kräfte sowohl von innen als auch von außen die nationale Sicherheit bedrohen“, verbreitete er. Im Innern der Residenz verteidigten eine Militäreinheit sowie Bodyguards den abgesetzten Präsidenten, der zwar suspendiert ist, aber dennoch Anrecht auf Sicherheitsleute hat. 

Der Präsidiale Sicherheitsdienst (PSS) schützt Yoon nach wie vor und folgt ihm offenbar loyal. Hundert Polizisten rückten an, um den Politiker mitzunehmen, waren aber machtlos gegen Yoons Garde. Über mehrere Stunden hinweg kamen sie nicht einmal in das Haus. Später mussten die Behörden erfolglos abziehen. „Wir haben festgestellt, dass die Vollstreckung des Haftbefehls aufgrund der anhaltenden Konfrontation praktisch unmöglich ist und haben die Vollstreckung aus Sorge um die Sicherheit des Personals wegen des Widerstands ausgesetzt“, hieß es in einer Stellungnahme der Antikorruptionsbehörde. Die Polizei will nun gegen die Befehlshaber der Präsidentengarde vorgehen, eventuell stehen also weitere Haftbefehle aus. Draußen standen sich derweil zwei Demonstrationszüge unversöhnlich gegenüber: Kritiker verlangten die Verhaftung, die Unterstützer forderten die Aussetzung des Haftbefehls. 

Wie geht es weiter? 

Der Haftbefehl gilt noch bis kommenden Montag: Die Ermittler diskutieren nun, ob sie einen weiteren Versuch wagen. Am Wochenende wird die Zahl der Demonstranten wohl noch weiter anwachsen – die Unruhen werden also nicht weniger. Mitte Januar dann tagt das südkoreanische Verfassungsgericht und entscheidet, ob die Amtsenthebung des Präsidenten rechtens war. Sollte es bei der Absetzung bleiben, werden innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen abgehalten. 

Was sagt der Konflikt über Südkoreas Gesellschaft aus? 

Kaum ein Land hat in wenigen Jahrzehnten einen derart rasanten wirtschaftlichen Aufstieg geschafft wie Südkorea. Die ehemalige Militärdiktatur galt in den 60er Jahren noch als verarmtes Entwicklungsland. Heute zählt das demokratische Südkorea nicht nur zu den erfolgreichsten Volkswirtschaften der Welt, sondern steht für eine beeindruckende kulturelle Softpower, exportiert nicht nur Autos, Handys und Haushaltstechnik, sondern ist bekannt für K-Pop, Filme und Serien. Abseits von dieser Erfolgsgeschichte – vielleicht auch deswegen – kämpfen die Menschen im Land mit sozialen Problemen: Wohlstandsschere, steigende Mieten und Immobilienpreise, Arbeitslosigkeit. Südkorea hat auch die weltweit niedrigste Geburtenrate. 

Der konservative Yoon war nie besonders beliebt, die Wahlen 2022 gewann er mit einem hauchdünnen Vorsprung. Von Anfang an galt Yoon deshalb als ein schwacher Präsident. Die Mehrheit im Parlament hatte die Opposition, und auch die Wahlen im vergangenen Jahr gewann sie deutlich. Beide Lager blockierten sich.

Yoon blieb es lediglich, die Unzufriedenheit der Koreaner für Schuldzuweisungen zu nutzen, die das Land weiter spalteten: gegen Migranten, Feministen, die Opposition. 

Nordkorea Urlaub

Und welche Rolle spielt Nordkorea?

Der Umgang mit dem hochgerüsteten Nachbarn und dessen skrupellosem Diktator Kim Jong Un ist in Südkorea traditionell umstritten, wohl auch, weil es eben keine wirkliche Lösung gibt. Während der sozialliberale Moon Jae In, der Vorgänger von Yoon, auf Annäherung gesetzt hatte, warf Yoon ihm genau das vor: Moon habe sich immer wieder vorführen und ausnutzen lassen und die nordkoreanische Aufrüstung nicht verhindert. Yoon steht für einen harten Kurs und Aufrüstung. Die Opposition, so suggerierte er, sei von nordkoreanischen Kommunisten und Staatsfeinden unterwandert. Nach einer der von ihm verbreiteten Verschwörungstheorien sicherten Hacker aus Nordkorea der Opposition sogar den Sieg bei den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr. 

Die Opposition warf Yoon wiederum die Nähe zu Japan vor, der ehemaligen Besatzungsmacht. Die strafrechtliche Verfolgung Yoons steht in südkoreanischer Tradition: Mehrfach wurden Präsidenten nach Ende der Amtszeit juristisch verfolgt. Trotz der Spaltung hat die Krise auch positive Folgen: Die Menschen in Südkorea zeigten eindrucksvoll, dass allen Problemen zum Trotz ein Rückfall in alte Zeiten für sie undenkbar ist. Sie zogen auf die Straßen und bekannten sich zur Demokratie.