Daniel Craig brilliert in "Queer", einer Geschichte über obsessive Liebe, die lange nachwirkt und wortwörtlich unter die Haut geht.

Daniel Craig brilliert in „Queer“, einer Geschichte über obsessive Liebe, die lange nachwirkt und wortwörtlich unter die Haut geht.

Mexiko-Stadt in den 1950er Jahren. William Lee (Daniel Craig), ein US-amerikanischer Auswanderer in seinen späten Vierzigern, lebt ein genussvolles, aber recht einsames Leben. Er ist in die mexikanische Hauptstadt geflüchtet, um seiner Drogensucht ungestraft nachgehen zu können. Die Queer-Szene und die Cantinas der Stadt sind für Lee eine Art Paradies. Eines Abends macht er die Bekanntschaft des jungen Ex-Soldaten Eugene Allerton (Drew Starkey), in den er sich verliebt.

„Queer“ (Kinostart: 2. Januar) ist Luca Guadagninos zweites Projekt des Jahres 2024 nach „Challengers“ und erneut eine Zusammenarbeit mit Drehbuchautor Justin Kuritzkes. Es handelt sich um eine Filmadaption von William S. Burroughs‘ gleichnamiger Novelle von 1985 – eine Fortsetzung seines semi-autobiografischen Romans „Junkie“ aus dem Jahr 1953, der von der Morphin- und Heroinsucht des Protagonisten handelt.

(K)eine Geschichte der unerwiderten Liebe

Auch im Film geht es um Drogensucht. Noch mehr geht es aber darum, süchtig nach einer anderen Person zu sein, die einen selbst nie so lieben wird, wie sehr man es sich wünscht. Egal wie sehr man sich verrenkt, um sie dazu zu bringen, einen zu lieben – sei es der stärkste Drogenrausch oder eine Reise in den Dschungel. Und selbst Telepathie kann nicht erklären, warum das Gegenüber augenscheinlich nicht dasselbe fühlt.

Guadagnino selbst beschreibt die Geschichte allerdings nicht als eine der „unerwiderten Liebe„, sondern „eine Geschichte der unsynchronisierten Liebe“. „Ein Großteil des Films besteht darin, dass die beiden versuchen, sich anzunähern, was ihnen aber aus eigenen Gründen sehr schwerfällt“, fasst er zusammen.

Eugene Allerton ist etwas jünger als Lee und scheint seine Sexualität noch zu erkunden. Sein Charakter wirkt distanziert und undurchschaubar. Hat er Interesse? Ist er überhaupt schwul? Manchmal scheint er von Lees Avancen abgestoßen, dann ist er doch wieder zutraulich. Da die Geschichte aus Lees Perspektive erzählt wird, bleibt er für das Publikum ein ebenso großes Rätsel wie wahrscheinlich für den Protagonisten selbst. Es sind lediglich kleine Momente des gemeinsamen Lachens und Konversationen, die seinen Charakter ein wenig freilegen und einen verstehen lassen, wonach Lee strebt und welche Verbindung er sucht. Bis zum Ende des Films bleibt Eugene ein unlösbares Rätsel – für Lee, aber auch das Publikum.

Das Thema der Homosexualität in einer weitgehend homophoben Welt der damaligen Zeit soll nicht das Hauptmotiv von „Queer“ sein. Der Film geht Fragen der Männlichkeit, der männlichen Bindung und der Freundschaft sowie Themen wie Begehren und Einsamkeit auf den Grund.

Lees Verzweiflung, Allerton zu verstehen und eine tiefe Bindung mit ihm aufzubauen, führt die beiden schließlich in den südamerikanischen Dschungel. Lee ist auf der Suche nach einem halluzinogenen Trank (heute bekannt als Ayahuasca), der Telepathie ermöglichen soll. Er will Allerton nicht kontrollieren, er will ihn verstehen. „Ich will mit dir reden, ohne zu sprechen“, sagt Lee im Film eindrucksvoll.

Fazit

Daniel Craigs Performance von William Lee berührt tief. Er verkörpert die profunde Einsamkeit und Verzweiflung eines Mannes, der nach Verständnis und Verbindung hungert, mit Finesse. Drew Starkeys Charakter ist hingegen schwer zu fassen, dafür aber schön anzusehen. Durchaus hervorzuheben ist Lesley Manville, die in ihrer Rolle als im Dschungel zurückgezogen lebende verrückte Forscherin Dr. Cotter zum kaum wiederzuerkennen ist und eine brillante Performance abliefert.

Stilistisch hat „Queer“ einige Gemeinsamkeiten mit Guadagninos bisherigen Werken. Zum einen ist der Film ein visuelles Meisterwerk, das durch lüsterne Kinematografie besticht. Begehren und Identität sind, wie etwa in „Call Me By Your Name“ (2017), zentrale Themen in Guadadagninos Arbeit. Wie in „Bones and All“ (2022) erforscht er Sucht, Selbsthass und die Identität in einer Welt, die Anderssein nicht akzeptiert. Die surrealen Elemente im letzten Drittel des Films erinnern an seinen Horrorfilm „Suspiria“ (2018).

Erneut zeigt der Regisseur auch seine detaillierte Aufmerksamkeit für Körper und Sinnlichkeit – eine Fähigkeit, dank der das Bild meist mehr sagt, als das gesprochene Wort es jemals könnte. Unterm Strich ist „Queer“ ein faszinierender Film, der die Komplexität menschlicher Beziehungen und die Qualen unerfüllter Sehnsucht eindringlich darstellt.

Trotz – oder vielleicht gerade wegen – seiner Komplexität hinterlässt „Queer“ das Bedürfnis, ihn ein zweites Mal zu sehen, um seine vielen (Meta-)Ebenen besser zu verstehen.