Als Präsident gab er oft eine glücklose Figur ab. Es ist die Zeit nach seiner Präsidentschaft, die sein Vermächtnis prägt – und ihm weltweit Respekt einbrachte.
Bodenständig war er, heimatverbunden und bescheiden. Jimmy Carter ist auf einer Farm im südlichen US-Bundesstaat Georgia aufgewachsen – ohne Strom und fließendes Wasser. Diese Erfahrung hat ihn sein Leben lang geprägt. Zupacken, das hat er gelernt. Noch im hohen Alter half er, wo immer es nötig war. Einmal dehydrierte er in sommerlicher Hitze beim Häuserbauen für arme Familien in Kanada und kam ins Krankenhaus. Schon am nächsten Tag stand er wieder auf der Baustelle. Carter war unermüdlich.
„Aufregendes, abenteuerliches und befriedigendes Leben“
Ganz ähnlich ging der frühere US-Präsident auch mit seiner Krebsdiagnose 2015 um. „Ich hatte ein aufregendes, abenteuerliches und befriedigendes Leben“, sagte er – und schien völlig mit sich im Reinen. Der einstige Erdnussfarmer aus dem Örtchen Plains machte nie großes Aufhebens um sich. Und so war es auch vor allem die Zeit nach seiner Präsidentschaft, die ihm Respekt und Anerkennung einbrachte – anders als die teils glücklosen Jahre im Weißen Haus. Nun ist Carter am Sonntag im Alter von 100 Jahren im Kreise seiner Familie gestorben.
Damit überlebte Carter seine Ehefrau Rosalynn gut ein Jahr. Sie war Mitte November 2023 im Alter von 96 Jahren gestorben – zuvor hatte sich ihr Gesundheitszustand rapide verschlechtert, sie litt unter anderem an Demenz. Die Carters waren 77 Jahre lang verheiratet. Jimmy Carter ließ nach dem Tod der ehemaligen First Lady über seine Stiftung mitteilen: „Solange Rosalynn auf der Welt war, wusste ich immer, dass mich jemand liebte und unterstützte.“ Sie galt auch als seine politische Begleiterin. Tief gezeichnet von Krankheit, halb liegend in einem Rollstuhl, zugedeckt mit einer Decke, erwies der 99-Jährige seiner Ehefrau bei der Trauerfeier in Atlanta die letzte Ehre.
Demütigungen und Triumphe
Kaum ein anderer US-Präsident hat während seiner Präsidentschaft derartige Demütigungen und Niederlagen hinnehmen müssen wie dieser Mann – vom Geiseldrama von Teheran bis hin zum sowjetischen Einmarsch in Afghanistan. Selbst Triumphe wie das Friedensabkommen von Camp David zwischen Ägypten und Israel verblassten dagegen.
Später machte er sich einen Namen als Vermittler in Krisen und mit humanitärer Hilfe. Ihm gelang eine Art Neustart nach seiner Zeit im Weißen Haus. 1982 gründete er gemeinsam mit Ehefrau Rosalynn in Atlanta das Carter Center zur Förderung von Demokratie, Menschenrechten und wirtschaftlicher Entwicklung – besonders in ärmeren Ländern. Als Vermittler bei Friedensbemühungen brachte Carter sich ein. 2002 bekam er dafür den Friedensnobelpreis.
Werte der Mutter waren prägend
Carter kam als Außenseiter in die Politik – und schließlich nach Washington. Der Ex-Präsident kam aus einfachen Verhältnissen im Süden des Landes – eine Region geprägt von der Trennung von Menschen nach Hautfarbe. Auf der Farm seiner Eltern hatte er viel mit Schwarzen zu tun, sein Vater allerdings sah Menschen mit weißer Hautfarbe als überlegen. Seine Mutter Lilian hingegen, eine Krankenschwester, war ein ganz anderer Typ Mensch und behandelte Schwarze mit Respekt. Es waren diese Werte seiner Mutter, die auch Carters Charakter prägten – auch wenn er das rassistische System der Trennung zwischen Schwarzen und Weißen anfangs nicht öffentlich kritisierte. Erst später in seiner Karriere machte er sich gegen Diskriminierung stark.
In den 1950er Jahren betrieb er die Erdnussfarm seiner Eltern in Plains. Schließlich begann der Demokrat, sich politisch zu engagieren, zunächst auf lokaler Ebene. 1971 wurde er zum Gouverneur Georgias gewählt – 1976 ging er ins Rennen gegen den republikanischen Amtsinhaber Gerald Ford um das Weiße Haus. „Jimmy wer?“, fragten sich da viele. Carter wurden kaum Chancen ausgerechnet. Doch nach dem Watergate-Skandal, der Richard Nixon schließlich aus dem Amt trieb, wollten die Menschen im Land Veränderung. Darauf setzte Carter im Wahlkampf – und hatte Erfolg.
Coup nach Geheimverhandlungen in Camp David
Der gelernte Erdnussfarmer und Nuklearingenieur galt als moralisch sauberer Newcomer, der die Nixon-Ära endgültig überwinden sollte. In seiner Zeit im Weißen Haus hatte er durchaus Erfolge. Im September 1978 unterzeichneten der ägyptische Präsident Anwar al-Sadat und der israelische Ministerpräsident Menachem Begin zwei Friedensrahmenabkommen – ein sensationeller Coup, den Carter in Geheimverhandlungen in Camp David eingefädelt hatte. Ein weiterer Schritt war der SALT-II-Vertrag zur Begrenzung der strategischen Rüstung, den Carter und der sowjetische Parteichef Leonid Breschnew im Juni 1979 in Wien unterzeichneten.
Doch in seiner Zeit als US-Präsident von 1977 bis 1981 war Carter häufig kein Glück beschert. Geprägt haben seine Präsidentschaft vor allem die hohen Verbraucherpreise und die „Schmach von Teheran“, die ihn schließlich die Wiederwahl kostete. Damals nahmen iranische Studenten Dutzende Amerikaner bei einem Überfall auf die US-Botschaft als Geiseln. Das Drama zog sich 444 quälend lange Tage hin, die Geiselnehmer ließen ihre Gefangenen mit verbundenen Augen vor den TV-Kameras aufmarschieren. Carters Beliebtheitswerte rutschten in den Keller.
Im April 1980 schickte Carter schließlich seine Elitesoldaten, um die Geiselkrise nach mehr als fünf Monaten zu beenden. Doch die Aktion endete in einem Debakel. Acht Soldaten kamen ums Leben, als ein US-Hubschrauber in ein Transportflugzeug stürzte, die Eliteeinheit erreichte nicht einmal Teheran und musste umkehren. Damit war seine Niederlage bei der Präsidentenwahl 1980 besiegelt – der Republikaner Ronald Reagan löste Carter im Weißen Haus ab. Dieser wurde völlig düpiert, als die Geiseln ausgerechnet am Tag von Reagans Vereidigung freigelassen worden. Es war eine kalkulierte Erniedrigung.
Malen und guter Wein
Für Carter begann nun eine neue Zeit, die er voll und ganz dem Engagement für die gute Sache widmete. „Sicherlich ist mein Ruf in den Jahren nach der Präsidentschaft besser geworden“, sagte Carter in einem TV-Interview 2006 mit einem Lächeln. Und er scherzte immer wieder, dass er das Carter Center wohl nicht gegründet hätte, wäre er wiedergewählt worden. Die politische Zeitschrift „The Nation“ schrieb kurz vor Carters Tod: „Jimmy Carter ist unser großartigster ehemaliger Präsident.“
Seiner Heimat Plains blieb er immer treu. Aus der Hauptstadt Washington zog es ihn zurück in das Örtchen mit ein paar hundert Einwohnern. Doch auch abgesehen von seinem humanitären Engagement langweilte sich Carter nicht: In seiner Freizeit malte er Ölbilder, schrieb Bücher, arbeitete in seiner Werkstatt und schätzte guten Wein.
Im November noch für Harris gestimmt
Und auch politisch nahm er kein Blatt vor den Mund. Carter sagte 2019, dass der damalige Präsident Donald Trump nur wegen der mutmaßlichen Einflussnahme Russlands auf die Wahl 2016 im Amt sei. Trump zog immer wieder über Carter her. Der demokratische US-Präsident Joe Biden wurde von Carter hingegen gebeten, die Grabrede zu halten. Da wusste Carter bereits, dass er nicht mehr lange zu leben hatte.
Im Februar 2023 wünschte er sich, nur noch palliativ behandelt zu werden. Die ihm noch verbleibende Zeit wolle er zu Hause verbringen, im Kreise seiner Familie. Anfang Oktober dieses Jahres wurde Carter 100 Jahre alt. Bei der US-Wahl im November gab Carter seine Stimme per Brief für die Demokratin Kamala Harris ab. „Mein Vater war ein Held – nicht nur für mich, sondern für alle, die an Frieden, Menschenrechte und selbstlose Liebe glauben“, zitierte die Stiftung Carters Sohn Chip in der Mitteilung zu seinem Tod.