Leonie Scheuble erlebte die US-Wahl und das Comeback Donald Trumps in der Demokraten-Hochburg New York – und traf bei ihrer Wählerbefragung einen Star-Wars-Schauspieler.
Und wen wählst du? Diese Frage schwirrt mir im Kopf herum, als ich am 5. November frühmorgens in der U-Bahn nach Brooklyn sitze und meine Mitmenschen beobachte. Die kleine Oma mit Bommelmütze und Einkaufswagen: bestimmt Kamala Harris. Der Businessmann, der via Airpods schon die ersten Börsengespräche führt: vielleicht Donald Trump? Die zwei jungen Frauen, die in ihren TikTok-Feed vertieft sind? Hoffentlich gehen sie überhaupt wählen.
Es ist Election Day in den USA. Lange habe ich auf diesen Tag hingefiebert. Als Auslandsreporterin gibt es nichts Spannenderes, als von vor Ort über die wichtigste Wahl des Jahres zu berichten. Und als jemand, der selbst länger in den Staaten gelebt hat, interessiert es mich auch persönlich, welche Richtung dieses Land einschlägt. Wochenlang war ich vor dem entscheidenden Tag quer durch die USA gereist, um mit möglichst vielen Amerikanerinnen und Amerikanern über die Wahl zu sprechen.
PAID Wahlorakel Clallam County zu Harris-Trump 19:45
Ein Star im Wahllokal
Als ich gegen neun Uhr vor dem Wahllokal im Brooklyn Museum ankomme, hat sich bereits eine lange Schlange gebildet. Einige erledigen ihren Urnengang auf dem Weg zur Arbeit, andere schieben Kinderwagen vor sich her oder verbinden die Stimmenabgabe mit dem Gassi gehen. Hunderte haben bereits ihre Stimme abgegeben, bisher läuft alles reibungslos, berichten die Koordinatoren vor Ort. Ich gehe auf Stimmenfang.
Bei einem kleineren Wahllokal in einer anderen Ecke Brooklyns habe ich mir gerade einen Kaffee geholt und mache mir Notizen, als mir aus den Augenwinkeln ein Mann auffällt. Mit nassem Haar geht kein anderer als Schauspieler Adam Driver (bekannt aus „Star Wars“) an mir vorbei ins Wahllokal.
War er das gerade wirklich? Eine schnelle Google-Suche zeigt, dass Driver tatsächlich in Brooklyn wohnt. Er muss es also sein. Ich habe keine Zeit für weitere Gedankenspiele, da er in diesem Moment das Wahllokal schon wieder verlässt. Also Zugriff. „Excuse me, are you Adam?“, frage ich etwas schüchtern. Er bejaht lachend meine Frage. Ich stelle mich als Reporterin aus Deutschland vor, und wir sprechen kurz über die Wahl. Für wen er gerade gestimmt hat, will Driver nicht verraten. Aber er sei „sehr positiv“ gestimmt, was das Ergebnis angehe. Und am Ende bekomme ich noch ein schnelles Selfie – für unseren US-Wahl-Liveblog versteht sich.
Eine strahlende Reporterin und Schauspielstar Adam Driver (r.)
© Leonie Scheuble
Ganz New York ist demokratisch? Nein!
Beseelt von meinem Reporterglück zum ersten Mal einen Hollywoodstar getroffen zu haben (und dazu noch so einen netten), mache ich mich auf den Weg nach Manhattan. Im vergoldeten Trump Tower haben sich Rolando und Anna García gerade mit Fanartikeln eingedeckt. Beide tragen USA-Pullis. Das Paar aus Florida hofft auf einen „Too big to rig“-Sieg ihres Favoriten. „Nur Trump kann unser Land retten“, meint Rolando.
Ein Mann mit Trump-Maske, Anzug und roter Krawatte turnt zur Belustigung der Fußgänger mitten auf der vierspurigen Straße herum, verteilt Handküsse und macht Trumps typische Tanzbewegungen nach. „I love you“, ruft eine mit Shoppingtüten beladene Frau, und schon gehört ihr der nächste Handkuss.
Stille Nacht, US-Wahl-Nacht
Den Beginn der Wahlnacht verbringe ich in einer kleinen Nachbarschaftskneipe im East Village. Seit 18 Uhr haben die Wahllokale geschlossen. Die Stimmung ist freudig gespannt, die Barkeeper haben alle Hände voll zu tun, ihre durstigen Gäste zu versorgen. Doch je später der Abend, desto spürbarer wird die Anspannung. Es läuft nicht gut für die Demokraten. In den wichtigen Swing States Georgia und North Carolina ist Trump kaum noch einzuholen. Mein Kollege Nicholas Büchse teilt uns aus Atlanta mit, dass dort die Wahlparty der Republikaner schon in vollem Gange sei. Harris einzige Hoffnung ist nun der Weg durch die sogenannte „Blue Wall“, Michigan, Wisconsin – und der wichtigste Staat von allen: Pennsylvania. Doch auch hier herrsche inzwischen Grabesstimmung bei den Demokraten, berichtet mein Kollege Jan Christoph Wiechmann aus Philadelphia.
Tareq ist erst vor ein paar Monaten aus Michigan nach New York gezogen. Seine Eltern, beide Libanesen, haben zu Hause für Trump gestimmt. Der 33-Jährige hat Angst, dass auch sein Heimatstaat – ein wichtiger Swing State – an die Republikaner gehen könnte. „Für die Menschen im Libanon und Gaza wäre das eine Katastrophe“, sagt er mir. Eine junge Frau namens Hanuki ist der Ansicht: „Wenn Harris verliert, ist sie selbst schuld.“
Gegen 23 Uhr verlassen die ersten die Bar. In Washington harrt mein Kollege Marc Etzold weiter auf der geplanten Siegesfeier von Harris aus, bis irgendwann feststeht: Die Vizepräsidentin wird nicht mehr kommen.
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Das „größte Comeback der politischen Geschichte“
Als ich kurz nach Mitternacht im Hotelzimmer eintreffe und den Fernseher einschalte, laufen die ersten Breaking News gerade über den Bildschirm: Donald Trump ist der prognostizierte Gewinner der Präsidentschaftswahlen. Ich muss die Worte ein paarmal von den Moderatoren hören, bis sie wirklich in mein Gehirn vordringen.
Es ist weniger der Schock über die Tatsache, dass Trump – ein Lügner, ein verurteilter Straftäter, der Anstifter des Kapitolsturms – gewonnen hat. Viel mehr bin ich verblüfft, wie deutlich das Ergebnis am Ende ist. Trump kann nicht nur alle sieben Swing States für sich entscheiden. Als erster Republikaner seit Bush 2004 gewinnt er knapp auch die Mehrheit aller abgegebenen Stimmen.
Gegen zwei Uhr nachts tritt Trump in Mar-a-Lago auf die Bühne. Er werde „Amerika wieder großartig machen“, wiederholt er seinen Wahlkampfslogan und spricht vom „größten politischen Comeback der Geschichte“. Seine Anhänger jubeln. Mein Social-Media-Feed zeigt mir die andere Seite der Emotionspalette: Tränen, Wutausbrüche und gebrochene-Herzen-Emojis. Eine amerikanische Freundin schreibt mir nur: „I am not okay“.
Schon in diesen Stunden wird klar: Nicht die Angst um die Demokratie, nicht der Streit ums Abtreibungsrecht, noch nicht einmal das polarisierende Thema Einwanderung haben diese Wahl entschieden – sondern schlicht die Sorge der Amerikaner um den eigenen Geldbeutel und das Gefühl, dass es ihnen unter Trump besser ging.
Als ich mit wund getippten Fingern und nach zu vielen Energydrinks schließlich ins Bett falle, ist der Morgen längst angebrochen – und die Menschen erwachen in Trumps Amerika.
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