Der stern hat in diesem Jahr viele Geschichten veröffentlicht, die erstaunen, schockieren, enthüllen. In dieser Serie empfehlen Redakteure ihre Lieblingstexte aus 2024.

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Über Monate hat die stern-Reporterin Jana Luck die erste Karstadt Filiale begleitet, die 1884 in Lübeck ihre Eröffnung feierte. Nun, 140 Jahre später, nahm das Haus endgültig Abschied von seiner Kundschaft. „Kaiserreich, Weimarer Republik, Nazizeit und Krieg, deutsche Teilung, Wirtschaftswunder, die Wiedervereinigung. Staatsformen veränderten sich, Grenzen auch. Karstadt blieb. Bis jetzt“, schrieb sie in ihrer Reportage Anfang des Jahres. 

Augsburg, Berlin, Chemnitz – fast kann man das ABC durchgehen, um die Standorte zu nennen, an denen dieses Jahr Galeria-Kaufhof-Karstadt-Filialen schließen mussten. Es war bereits das dritte Mal in vier Jahren, dass der Galeria-Konzern Insolvenz anmeldete. 

Karstadt war ein Ort, der Lübecker zusammenbrachte 

Einst war das Kaufhaus ein Mekka des Konsums, ein Treffpunkt des Mittelstands und ein Schlaraffenland für Kinderaugen. Heute ist die Mode in den Filialen überholt und die Preise sind durch den Onlinehandel nicht konkurrenzfähig. Das ist der Wandel der Zeit, könnte man sagen. Doch mit den Schließungen der Läden endet auch ein Teil deutscher Innenstadt-Geschichte.

Luck hat in Lübeck, wo die Galeria-Kaufhof-Karstadt-Filiale, nur „Karstadt“ genannt wurde, mit trauernden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesprochen, beim Lübecker Bürgermeister Jan Lindenau nachgefragt und sich den Niedergang des Unternehmens von Handelsexpertin Theresa Schleicher erklären lassen. Entstanden ist eine Mischung aus Reportage, Interview und Erklärstück. Damit ist der Text fast eine Analogie zum Karstadt-Sortiment. „Alles in einem Haus, inklusive Gastronomie und Livebands zum Tanztee“, schrieb Luck. 

Karstadt Reportage DAS KAUF AUS 19.58

Karstadt war ein Ort, der die Lübecker lange zusammenbrachte. Eine Mitarbeiterin nennt die Filiale ihr Zuhause, ein weiterer lernte dort seine Frau kennen. Luck berichtete über die Menschen vor Ort und ließ dabei die Filiale selbst zu einer Person werden. Zum Beispiel, wenn sie Schaufensterpuppen, Spiegel und Kleiderständer das Skelett der immer leerer werdenden Filiale nannte oder schrieb: „Das Warenhaus, einst erste Adresse in der Innenstadt, verschwindet ohne Ansage. Wie ein Gast, der sich von der Party schleicht.“

Worte wie in einem Nachruf. Und tatsächlich fühlt man sich beim Lesen der Geschichte wie auf einer Trauerfeier: Abschied und Tränen, aber auch viele schöne Erinnerungen. Nach dieser Lektüre wird klar: Karstadt war in Lübeck mehr als nur ein Kaufhaus. Ein Abgesang auf eine Institution.

Die bisherigen Folgen der Serie:

Geschichte des Jahres „Ein krankes Haus“