Die Tochter unseres Kolumnisten glaubt in der Vorweihnachtszeit fest an das Übernatürliche – und ähnelt darin unserem Bundeskanzler.

Die Tochter unseres Kolumnisten glaubt in der Vorweihnachtszeit fest an das Übernatürliche – und ähnelt darin unserem Bundeskanzler.

Nicht ganz klar, in welchem Alter uns die kindliche Begeisterungsfähigkeit restlos ausgetrieben wurde. Mit neun, im Alter meiner Tochter, ist sie noch da. Hinten in der Ecke des Wohnzimmers stürmt sie auf eine zehn mal sechs Zentimeter große Tür zu, die vermeintlich einen Zugang zu einer Behausung hinter der Wand bildet. Es ist Ende November, der Wichtel ist da, eine populärmythologische Figur, die seit ein paar Jahren besonders in den Wohnungen von besser verdienenden Großstädtern Einzug gehalten hat. Eine Art Vorband des Nikolaus.

Der zwergenhafte Untermieter bleibt mit seinem miniatürlichen Hausstand (Möbel, Besen, Puschen) für gewöhnlich bis kurz vor Heiligabend. Kinder bestechen ihn unter den gütigen Augen der Eltern mit Milchreis oder Nüsschen, woraufhin er kleinere Geschenke dalässt. Das ist nur richtig, da moderne, mit Playstation-Spielen oder Beautyprodukten gefüllte Adventskalender eine Generation von Kindern heillos unterschenkt zurücklassen.kurzbio beisenherz

Es ist diese irre Moderne, die solche Blüten treibt. Womöglich fragen bereits die ersten Kleinen, warum die drei Weisen aus dem Morgenland Josef und Maria statt Weihrauch oder Myrrhe nicht Dubai-Schokolade mitbringen.

Es ist aber weniger das Materielle als das Zeremonielle, das meine Pippa so in Erregung versetzt. Sie will an die Existenz dieses kleinen Kerlchens glauben. An Informationen mangelt es nicht. Wenn wir durch den Drogeriemarkt gehen, bemerkt sie doch auch, dass da unter anderem solche Wichteltürchen verkauft werden. Sie ignoriert das im Interesse einer wichtigeren Erzählung.

Beliebtheitswerte zwischen Schneematsch und Mettwurst-Imitat

Die Großwetterlage ist für unsere Kinder eine trübe, nasskalte Suppe, die pausenlos auf sie hinabnieselt. Gut, dass sie sich mit ein wenig Fantasie dagegenstemmen. Meine Tochter bekommt zu viel mit. Wenn wir uns über die geisteskranken Preise für kandierte Erdbeeren auf dem Hamburger Dom, einem großen Volksfest, unterhalten, kommt als Antwort: „Putin ist schuld.“ Über Trump kann nicht einmal mehr sie lachen. Und wenn Pistorius zu sehen ist, fragt sie mich, ob ich den gut finde. Tu ich. Damit wäre ich in etwa bei zwei Dritteln aller Deutschen, die das auch tun. Da Olaf Scholz durch einen kosmischen Zufall aber nun mal Kanzler geworden ist, tritt dieser bei der nächsten Wahl wieder an. Allerdings nicht ohne die sozialdemokratische Selbstzerfleischung und die öffentlichen Zweifel der Genossen, ob der ungleich beliebtere Verteidigungsminister nicht doch der bessere Kandidat wäre. Der hat nach ein paar Tagen des schmeichelhaften Sich-bitten-Lassens freiwillig (?) zurückgezogen. Jetzt gibt man sich nach außen hin total überzeugt von dem schlumpfigen Trostpreis und taumelt so munter strukturkonservativ ins Debakel hinein.Scholz-Pistorius-Komm 23.30 Uhr

2021 haben die Sozen eine erfolgreiche Kampagne gegen einen ungeeigneten Kandidaten der Union gefahren. 2024 ist es ihnen immerhin schon mal mit dem eigenen gelungen. Heimlich hofft man im Willy-Brandt-Haus darauf, dass Gegenkandidat Merz in einem seiner berüchtigten Anfälle das Sakrileg begeht, den „Tatort“ zu beleidigen, oder dass er versehentlich beim Rückwärtsausparken Helene Fischer anfährt. Auf ein Wunder eben, an das nur der Bundeskanzler zu glauben scheint. Ein Mann mit Beliebtheitswerten irgendwo zwischen Schneematsch und Mettwurst-Imitat, der sagt: Ich bin der Beste. Fast rührend, dieser feste Wille. Dieser tiefe, fast kindliche Glaube an das eigentlich Unmögliche.

Ob es am Ende die Tür des Wichtels ist oder die des Kanzleramtes, ist dann auch fast egal.