"Orange Day" nennt man den Tag, der auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam machen soll. Diese Gewalt geht häufig von Männern aus – und sie ist in Deutschland alltäglich.

„Orange Day“ nennt man den Tag, der auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam machen soll. Diese Gewalt geht häufig von Männern aus – und sie ist in Deutschland alltäglich.

Jeden Tag erleben Frauen Gewalt. In Deutschland und weltweit. Auf der Straße, im Internet, am häufigsten aber in den eigenen vier Wänden. Wie verbreitet die Problematik hierzulande ist, zeigten in der vergangenen Woche veröffentlichte Zahlen – die ersten ihrer Art.

Im ersten Lagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ erfasste das Bundeskriminalamt (BKA), wie häufig Menschen Opfer von Straftaten und Gewalt werden, weil sie Frauen und Mädchen sind (der stern berichtete). Die Ergebnisse machen den heutigen Aktionstag gegen Gewalt an Frauen umso relevanter.

Kommentar Gewalt gegen Frauen 09.27

Gewalt gegen Frauen steigt in allen Bereichen an

Straftaten gegen Frauen und Mädchen haben 2023 im Vergleich zum Vorjahr in allen Bereichen zugenommen, zum Teil massiv.

Der Hass gegen Frauen mag in Teilen online stattfinden, doch er hat reale Folgen. 2023 wurde fast jeden Tag eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist (360 Fälle). Noch öfter versuchten Täter es. Fachleute nennen eine Tat mit diesem Motiv einen Femizid. Die Gewalt geht häufig von einem (Ex-)Partner aus und findet in den eigenen vier Wänden statt. Es ist das, was Boulevardmedien verharmlosend eine „Beziehungstat“ nennen. Auch in manchen Polizeimeldungen ist der Begriff noch zu finden, wenn Täter und Opfer sich kannten.

Doch nicht die Beziehung ist die Ursache solcher Taten. Es ist das Machtgefälle, das der meist männliche Täter auf Grund des Geschlechts seiner Partnerin sieht. Die Polizeiliche Kriminalstatistik spricht deshalb seit 2011 konkreter von „Partnerschaftsgewalt“. Das Grundproblem sind patriarchale Strukturen und toxische Männlichkeit. Beides schadet am Ende allen Geschlechtern. Um ihr Leben fürchten müssen jedoch vor allem Frauen.

Dabei finden die meisten Taten im Verborgenen statt. Eine aktuelle Studie des BKA dazu läuft, doch repräsentative Zahlen der Behörde ergaben 2020, dass zum Beispiel bei Sexualstraftaten nur jede hundertste Tat angezeigt wird. Bei sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung sind es lediglich zehn Prozent.

Mögliche Gründe erklärte die Opferberaterin Agota Lavoyer im Sommer im stern-Gespräch: „Die geringe Erfolgschance, die lange Dauer und die belastenden und zuweilen demütigenden und retraumatisierenden Vernehmungen. Viele Frauen haben auch heute noch verinnerlicht, dass ein sexueller Übergriff irgendwie auch ihre Schuld sei. Sie denken, wenn sie nicht getrunken, etwas anderes getragen oder nicht allein unterwegs gewesen wären, dann wäre es nicht passiert.“

Prozentual am meisten angestiegen sind die Fälle von politisch motivierter Gewalt (um 56,3 Prozent) – also Frauenhass als Motiv – und von digitaler Gewalt (um 25 Prozent).

Jede Zahl steht für ein Schicksal. Für eine Ohrfeige, einen Hasskommentar, ein Auflauern an einer dunklen Straßenecke, für ein demonstratives „Du gehörst mir“.

Haben Mädchen und Frauen Gewalt erfahren, prägt sie das oft ihr Leben lang. Die Masse an Schicksalen zeigt: Misogynie ist ein strukturelles Problem. „Beschämend“ nennt Bundesfamilienministerin Lisa Paus die Ergebnisse des Berichts deshalb. Doch dass die Fallzahlen steigen kann auch etwas Positives haben: Frauen zeigen ihre Peiniger immer öfter an.

Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ berät unter der Rufnummer 08000 116 016 und online auf www.hilfetelefon.de rund um die Uhr und kostenfrei zu allen Formen von Gewalt. Die Beratung erfolgt anonym, vertraulich, barrierefrei und in 18 Fremdsprachen. Auf Wunsch vermitteln die Beraterinnen an eine Unterstützungseinrichtung vor Ort. Auch Bekannte, Angehörige und Fachkräfte können sich an das Hilfetelefon wenden.

Quellen: Bundesinnenministerium, Bundeskriminalamt, BKA SKID

Hinweis: Dieser Text wurde aktualisiert.