Vor Wembley muss Neu-Bundestrainer Christian Wück viele Personalprobleme lösen. Langjährige Stammkräfte fehlen den deutschen Fußballerinnen. Auch die wichtigste Frage ist bisher nicht geklärt.
Christian Wück ist kaum zu beneiden. In Alexandra Popp ist die eine Top-Stürmerin zurückgetreten und Lea Schüller wegen Knieproblemen abgereist. Dazu plagen den neuen Bundestrainer der deutschen Fußballerinnen vor seinem Debüt im Klassiker gegen Europameister England große Sorgen in der Defensive. Beim Aufbruch in die neue Ära muss der Coach ein paar Umwege nehmen, um Stolperfallen zu vermeiden.
„Es wird in den beiden Spielen nicht alles funktionieren, was vollkommen in Ordnung ist“, prophezeite Innenverteidigerin Sara Doorsoun vor den Duellen an diesem Freitag vor mindestens 52.000 Fans im Londoner Wembley-Stadion (20.30 Uhr/ARD) und drei Tage später in Duisburg gegen Australien (18.10 Uhr/ZDF). „Das sind einfach zwei sehr gute Testspiele, wo wir Dinge ausprobieren können und dürfen, aber auch nicht alles gelingen wird.“ Um eine Identität und Spielphilosophie zu entwickeln, brauche es Zeit.
Wück: „Abwehr ist unser größtes Problem“
Wück sieht es ähnlich, besonders mit Blick auf die Defensive. „Abwehr ist unser größtes Problem“, gab er beim Trainingsauftakt am Montag offen zu, „wobei Problem das falsche Wort ist: größte Herausforderung.“ Abwehrchefin Marina Hegering vom VfL Wolfsburg ist zurückgetreten, Vereinskollegin Kathrin Hendrich (Belastungssteuerung) pausiert, Bibiane Schulze Solano von Athletic Bilbao fehlt nach einem Kreuzbandriss noch lange.
Gegen Englands spielstarke Offensive, der Chelseas verletzte Topspielerin Lauren James fehlt, könnte es auf die Frankfurter Innenverteidigerinnen Doorsoun und Sophia Kleinherne ankommen. Letztere will keine Lückenfüllerin sein. „Ich möchte einfach hier sein, weil ich es mir verdient habe – und nicht weil eine Spielerin verletzt ist oder zurückgetreten ist oder ein bisschen geschont wird“, sagte die 24-Jährige. Wück-Vorgänger Horst Hrubesch hatte sie im Sommer nicht für Olympia berücksichtigt.
Kleinherne hat gute Erinnerungen an Wembley
2019 feierte Kleinherne beim 2:1-Testspielsieg in Wembley ihr Länderspiel-Debüt – nun das Comeback? „Das sind natürlich Geschichten, die im Fußball geschrieben werden“, kommentierte sie. Auch eine Option für die Abwehrzentrale laut Wück: Wolfsburgs Janina Minge, gelernte Mittelfeld-Abräumerin. Auf ihr Debüt hofft Newcomerin Lisanne Gräwe (23/Frankfurt).
Auch in der hoch veranlagten Offensive sind die Optionen in dieser Woche mit einem Schlag weniger geworden. Bayern-Stürmerin Schüller (Knieprobleme) und Frankfurts Torjägerin Laura Freigang (Erkältung) mussten abreisen, dafür können sich Rückkehrerinnen wie Hoffenheims Selina Cerci (24) oder Neulinge wie Giovanna Hoffmann (26/Leipzig) beweisen. „Alle sind heiß darauf, sich zu zeigen“, kündigte Cerci an. Zumindest Schüller wird auch am Montag bei Wücks Heimpremiere gegen Australien fehlen.
Popp, Hegering, Frohms: „Herausragende Persönlichkeiten“ treten ab
Dann feiert Popp in ihrem 145. Länderspiel (67 Tore) ihren großen Abschied. Auch Hegering und Torhüterin Frohms, in Duisburg ohne weiteren Einsatz, werden verabschiedet. „Herausragende Persönlichkeiten“, sagte DFB-Sportdirektorin Nia Künzer über das Trio. Mindestens bis ins Frühjahr hinein fehlt Mittelfeld-Star Lena Oberdorf (Knieverletzung).
Gesucht sind deshalb neue Anführerinnen. Häufig genannt wird Giulia Gwinn vom FC Bayern, heiß gehandelt auch als feste Kapitänin. Gwinn ist eine der populärsten DFB-Spielerinnen, sprachgewandt und übernimmt bereits bei Elfmetern die Verantwortung. Gegen England schickt Wück die 25 Jahre alte Außenverteidigerin als Kapitänin aufs Feld – und danach? Der Trainer müsse entscheiden, sagt sie, Spekulationen verböte die Wertigkeit des Amtes.
Entschieden hat Wück, dass er sich in der K-Frage vorerst nicht entscheiden möchte. Bis zu den Nations-League-Spielen Anfang nächsten Jahres hofft er auf weitere Erkenntnisse. Und einen Umbruch ohne allzu viele Umwege.