"Tatort: Murot und das 1000-jährige Reich" ist der 13. Murot-Fall. Der Zeitreise-Krimi reiht sich in die Riege ungewöhnlicher Fälle ein.

„Tatort: Murot und das 1000-jährige Reich“ ist der 13. Murot-Fall. Der Zeitreise-Krimi reiht sich in die Riege ungewöhnlicher Fälle ein.

Seit 2010 ermittelt Ulrich Tukur (67) in der Rolle des eigenbrötlerischen Wiesbadener LKA-Kommissars Felix Murot. Am 20. Oktober läuft sein 13. Fall „Tatort: Murot und das 1000-jährige Reich“ (20:15 Uhr, das Erste). Auch diesmal geht es alles andere als gewöhnlich zu, denn der Fall spielt im Jahr 1944 und Ulrich Tukur schlüpft außerdem in die Rolle des Nazi-Ermittlers Friedrich Rother. Man sieht: Kein Murot-Tatort ist wie der andere.

Die Murot-Fälle sind wohl die fantasievollsten und außergewöhnlichsten des Sonntagskrimis. Das wusste man spätestens nach dem vierten Fall „Tatort: Im Schmerz geboren“. Der Fall hält bis heute den Rekord für die meisten „Tatort“-Toten – 47 an der Zahl – und wurde mit zahlreichen Preisen wie der Goldenen Kamera und dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Zehn Jahre ist es jetzt her, dass der bis heute zitierte Film über die Bildschirme flimmerte. Zeit, auf alle Murot-Folgen zurückzublicken.

Gespräche mit dem Tumor

Ulrich Tukurs Karriere als Felix Murot begann 2010 im „Tatort: Wie einst Lilly“. Wie auch im neuesten Krimi stellte sich Murot bei seinem Einstand einem dunklen Kapitel der deutschen Geschichte: der Aufarbeitung der RAF-Verbrechen. Die Ermittlungen führen zu einem Terroranschlag in den 1980er-Jahren, den Murot als junger BKA-Mann untersuchte. Neben der fehlenden Scheu vor schwerer Kost, an die sich zuvor noch kein „Tatort“ wagte, fiel im ersten Murot-Fall sofort auf, dass bei diesem Ermittler alles anders ist. Murot hat einen Gehirntumor, den er Lilly nennt – und mit dem er redet, lacht und singt. Die ersten surrealen Sequenzen und die Stimmen aus dem Off schafften die Basis für die außergewöhnlichen „Tatort“-Folgen der nächsten Jahre.

Weiter ging es 2011 mit „Tatort: Das Dorf“, noch unkonventioneller, noch mehr aus Raum und Zeit gefallen, immer auf dem Sprung zwischen verschiedenen Genres. Murots zweiter Fall zählt bis heute zu den schrägsten, schillerndsten und zugleich umstrittensten „Tatort“-Folgen aller Zeiten. Der Kommissar, immer noch halluzinierend, ermittelt in einem kleinen Dorf im Taunus irgendwo zwischen Wahn und Wirklichkeit wegen illegaler Organspende. Logisch, dass ihm da schon mal sein eigenes Gehirn auf einem Tablett serviert wird.

„Tatort: Schwindelfrei“ (2013) war im Vergleich zu seinen Vorgängern hingegen eher langweilig. Murot – inzwischen von Lilly befreit – ermittelt in einem mysteriösen Vermisstenfall im Zirkus. Eine schöne Kulisse, die eigentlich auch zum Träumen einlädt, größere Visionen bleiben jedoch aus.

Rekordfall „Im Schmerz geboren“

Lange enttäuscht waren die Murot-Fans aber nicht, denn 2014 wurde ihnen mit „Tatort: Im Schmerz geboren“ wohl das Paradestück des Wiesbadener „Tatort“-Teams vorgesetzt. Der Krimi ist eine Mischung aus Western, Liebesdrama und Tarantino-Blockbuster, gespickt mit Shakespeare-Elementen und zahlreichen Zitaten. Murot sieht sich einem Rachefeldzug eines alten Freundes gegenüber, bei dem 47 Menschen ihr Leben lassen müssen – Rekord für den „Tatort“ und Kultstatus für Murot.

Die Fallhöhe für „Tatort: Wer bin ich?“ 2015 war groß – doch kein Problem für Murot. Auch bei diesem Fall wurden die klassischen „Tatort“-Konventionen völlig außer Acht gelassen. Wieder ganz neu: Tukur spielt sich in dieser Film-im-Film-Krimi-Satire nämlich selbst und sieht sich in seinem realen Leben einem Mordverdacht ausgesetzt. Innovativ, unterhaltsam und etwas, das es im „Tatort“-Universum so noch nie gab.

Mit „Tatort: Es lebe der Tod“(2016) folgte nach der Komödie dann eher ein Psychothriller, denn Murot bekommt es mit einem Serientäter zu tun, mit dem sich im Verhörraum ein Katz-und-Maus-Spiel entwickelt. Realität und Fantasie wechseln sich bei diesem Kammerspiel in alter Murot-Manier ab.

Berühmte Klassiker neu interpretiert

Welcher „Tatort“ wäre besser geeignet, das Thema Zeitschleife aufzugreifen, als der Wiesbadener? In „Tatort: Murot und das Murmeltier“ (2019) erlebt der Kommissar fast dasselbe wie Wettermoderator Phil Connors (Bill Murray, 74) im 1990er-Jahre-Klassiker „Und täglich grüßt das Murmeltier“: Er wacht jeden Tag am selben Tag auf und muss sich mit einem Geiseldrama befassen.

Mit den Hommagen an große Filmklassiker ging es im „Tatort: Angriff auf Wache 08“ gleich weiter. Der Film ist stark angelehnt an den US-Thriller „Assault – Anschlag bei Nacht“ von 1976 und auch mit weiteren Anspielungen auf große Filme gespickt. Murot, ein Gefangenentransport mit Schwerkriminellen und eine Jugendliche werden in einer einsamen Polizeiwache von einem Trupp Scharfschützen beschossen.

Noch mehr Hommagen gab es in „Tatort: Die Ferien des Monsieur Murot“ (2020): Vorbild ist die Komödie „Die Ferien des Monsieur Hulot“ (1953), die Geschichte ähnelt aber Erich Kästners (1899-1974) „Das doppelte Lottchen“ oder Christopher Nolans (54) „Prestige“ (2006). Murot tauscht nämlich das Leben mit einem Doppelgänger und findet sich so in der absurden Situation wieder, den Mord aufzuklären, der ihm selbst gelten sollte.

Ungewohnte Ruhe

Etwas weniger experimentell, aber keineswegs gewöhnlich kam „Tatort: Murot und das Prinzip Hoffnung“ 2021 daher. Murot muss eine Mordserie aufklären, in die er durch seine – in Rückblenden dargestellte – Vergangenheit selbst verwickelt ist. Im Finale hilft nur noch eine Figurenaufstellung, um das komplexe Geflecht von familiären Beziehungen und Freundschaften zu durchblicken.

Auch 2022 reiste Murot in „Tatort: Murot und das Gesetz des Karma“ weder durch verschiedene Genres, noch stand er sich selbst gegenüber. Die gewohnten Rückblenden gab es aber trotzdem. Der Film, in dem Murot auf eine Trickbetrügerin hereinfällt, ist gradlinig und nicht so ambitioniert wie manche Vorgänger.

Doppelt so skurril wurde es dafür in „Tatort: Murot und das Paradies“ (2023): Murot gerät durch eine neuartige Technik in eine Parallelwelt. In einem wilden Genre-Mix sucht er nicht nur nach einem Mörder, sondern auch nach dem, was für ihn paradiesisch ist – mal als Hitler-Mörder, mal als Astronaut oder als Säugling.

Nach „Tatort: Murot und das 1000-jährige Reich“ darf man sich mindestens noch auf einen weiteren Murot-Film freuen, der wohl nicht weniger schräg sein dürfte. Seit Mai 2024 wird „Tatort: Murot und der Elefant im Raum“ gedreht, in dem Murot sich an eine Maschine anschließen lässt, die es ihm ermöglicht, in seiner Psyche wie in einer Landschaft spazieren zu gehen…