In Leipzig hat die Grüne Jugend eine neue Spitze gewählt. Der baldige Kanzlerkandidat der Grünen kann sich darauf einstellen: Es wird unbequem.

In Leipzig hat die Grüne Jugend eine neue Spitze gewählt. Der baldige Kanzlerkandidat der Grünen kann sich darauf einstellen: Es wird unbequem.

Jette Nietzard und Jakob Blasel machten gleich mal klar, was von der Grünen Jugend in Zukunft zu erwarten ist: harte Kritik an der Ampel-Politik und an den Grünen in der Regierung. Auch wenn andere Parteien in der Ampel echt „miese Scheiße“ bauten, sagte Nietzard in Leipzig, wo der grüne Nachwuchs am Wochenende zu einem Treffen zusammenkam, müsse sie sagen: „Liebe Grüne, ihr baut sie auch, die Scheiße!“

Die 25-jährige Berlinerin, die sich für Geflüchtete engagiert, und der 24-jährige Klimaaktivist aus Schleswig-Holstein sind die beiden neuen an der Spitze der Grünen Jugend. Viel Zeit, sich darauf vorzubereiten, hatten Nietzard und Blasel nicht. Überraschend waren ihre Vorgängerinnen im Amt, Katharina Stolla und Svenja Appuhn, Ende September zurückgetreten. Der Grund: Die Grünen sind ihnen nicht links genug. Das sehen Nietzard und Blasel nicht anders, nur haben sie – anders als ihre Vorgängerinnen – noch Hoffnung, dass sie daran etwas ändern können. 

Jette Nietzard wurde mit 84,5 Prozent als Bundessprecherin der Grünen Jugend gewählt, Jakob Blasel mit 74,6 Prozent.
© Sebastian Willnow

Inwieweit sich diese Hoffnung am Ende erfüllen kann, ist fraglich – an der Spitze der Grünen sehen das mächtige Leute gänzlich anders. Robert Habeck, der die Grünen in den Bundestagswahlkampf führen soll, steht für einen unbedingten Kurs der Mitte. Der Wirtschaftsminister will pragmatische Grüne und im Wahlkampf auch die Wähler der alten Merkel-CDU erreichen. So mancher stellt offensiv in Frage, dass die Grünen überhaupt eine linke Partei sein sollen. „Wir sind eindeutig eine Partei der bürgerlichen Mitte“, sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann jüngst.

Grüne Jugend: „Den Grünen zeigen, wo links ist“

Das wollen sie bei der Grünen Jugend nicht akzeptieren – und so kann sich der Kanzlerkandidat Robert Habeck schon einmal darauf einstellen, dass es vom Parteinachwuchs immer wieder auch deutliche Kritik geben wird. Die Schlagworte in Leipzig sind „internationale Solidarität“, mehr Umverteilung, und eine ambitioniertere Klimapolitik. Sie freue sich jetzt schon auf den kommenden Parteitag im November, sagte Nietzard in ihrer Bewerbungsrede, auf dem „wir den Grünen zeigen, wo links ist!“

Habeck Grüne 18:33

Dort, in Wiesbaden, wird Habeck mutmaßlich zum Kanzlerkandidaten gekürt. Inhaltlich darf man bereits jetzt heftige Debatten erwarten. Die Grünen befinden sich in der Krise. Durch zahlreiche empfindliche Wahlniederlagen, von der Europawahl im Juni über die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, sind Flügelkämpfe zwischen den Realos und dem linken Flügel neu aufgeflammt. Den einen sind die Grünen, trotz vieler Kompromisse in der Regierung, zu ideologisch – etwa beim Thema Migration. Den anderen sind sie zur sehr nach rechts gerückt, machen Politik auf Kosten der sozial Schwachen und haben den Kampf gegen die Klimakrise nicht ambitioniert genug betrieben.

Wie der Parteinachwuchs die Sache sieht, daran besteht kein Zweifel: Insbesondere die Asylpolitik der Ampel trifft auf erbitterten Widerstand. Wenn Menschen in der Bundesregierung ihr erzählten, man müsse schneller abschieben, „dann möchte ich sie anschreien“, sagt Nietzard. Hier sorgen sie sich vor dem Auftrieb rechter Hetze, welchen Blasel auch den Grünen in der Regierung mit anlastet. 

„Lieber Robert: Wir tragen diese Politik nicht mit“

Immer wieder wird explizit Habeck angegangen, etwa beim Thema Lieferkettengesetz: „Wenn Robert Habeck sagt, man solle ‚die Kettensäge anwerfen und das ganze Ding wegbolzen‘, dann ist das ein Angriff auf all jene, die unter ausbeuterischen Bedingungen leiden“, sagt Blasel. „Lieber Robert, schöne Grüße aus Leipzig: Wir tragen diese Politik nicht mit.“ Dafür bekommt Blasel viel Applaus.

Beim Versuch, diese innergrünen Gegensätze zumindest etwas auszutarieren, dürfte es in der Zukunft vor allem auf Felix Banaszak ankommen. Nach dem Rückzug der vorherigen Parteispitze will der Bundestagsabgeordnete vom linken Flügel einer der beiden neuen Parteivorsitzenden der Grünen werden. Er kandidiert gemeinsam mit der Habeck-Vertrauten Franziska Brantner, die Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium ist.

Porträt Brantner14.20

Banaszak schaut am Samstag schon einmal bei der Grünen Jugend vorbei, gemeinsam mit der noch amtierenden Parteivorsitzenden Lang sitzt er auf der Bühne. Er versucht, Brücken zu schlagen, sagt, er glaube, dass man in der Partei „an ganz, ganz vielen Stellen“ für etwas Gemeinsames stehe. Die Partei sei nur dann möglichst stark, „wenn sie die Breite, die sie hat, abdeckt“. Man könne sich breiter aufstellen, „ohne sich selbst die ganze Zeit zu verleugnen“. Im Leipziger Plenum reagieren sie eher verhalten. 

Die beiden Neuen an der Grünen Jugend-Spitze jedenfalls wollen die grünen Entscheidungsträger künftig an ihren Forderungen messen. Sie erwarte, insbesondere von Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten, dass man keine „faulen Kompromisse schließt“, sagte Nietzard in ihrer Rede. „Sondern für Menschenrechte, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit einsteht“. Noch haben sie da Hoffnung, so scheint es in Leipzig. „Radikal zuversichtlich“ steht in Herzform auf Blasels Pullover.