Unterlagen aus Ermittlungs- und Gerichtsverfahren dürfen nicht einfach veröffentlicht werden. So sieht es das Gesetz vor. Der Journalist Semsrott kritisiert das und nimmt eine Strafe in Kauf.
Der Journalist und Aktivist Arne Semsrott soll nach dem Willen der Berliner Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe zahlen, weil er Gerichtsdokumente veröffentlicht hat. Der Chefredakteur des Internetportals „FragDenStaat“ hatte vor dem Landgericht eingeräumt, drei Beschlüsse des Amtsgerichts München zu Ermittlungen gegen die Klimagruppe Letzte Generation ins Netz gestellt zu haben – im Wissen, dass dies laut Gesetz verboten ist.
Bei den Dokumenten handelt es sich um Beschlüsse im Verfahren gegen die Gruppe wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Es ging um Durchsuchungen bei Mitgliedern, die Beschlagnahme der Webseite sowie die Überwachung des Pressetelefons der Gruppe. Das Vorgehen der Justiz sorgte seinerzeit für Diskussionen.
Journalist: Originaldokumente wichtig für Diskussion
„Um öffentlich über den Umgang mit der Letzten Generation diskutieren zu können, brauchen wir die Originaldokumente und Zitate daraus“, argumentierte Semsrott. Die bestehende Gesetzeslage stelle eine Einschränkung der Pressefreiheit dar, die verfassungswidrig sei. In Zeiten von Fake News seien Originalquellen für eine fundierte Diskussion umso wichtiger. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt den 36-Jährigen in dem Verfahren.
Die Dokumente sind bis heute bei dem Internetportal, das sich für staatliche Transparenz einsetzt, abrufbar. Laut Anklage hat Semsrott damit gegen den Paragrafen 353d im Strafgesetzbuch (Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen) verstoßen. Danach ist eine wortgetreue Veröffentlichung von Ermittlungsakten und Gerichtsentscheidungen aus laufenden Ermittlungsverfahren nicht zulässig. Das Gesetz droht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe an.
Eingriff in die Pressefreiheit
„Dieses Risiko nehme ich in Kauf“, sagte Semsrott am Rande der Verhandlung. Sein Verteidiger beantragte, das Verfahren vor dem Landgericht auszusetzen und den Fall dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorzulegen. Die bestehende Gesetzeslage verstoße gegen die Presse- und Wissenschaftsfreiheit, so der Anwalt. Die Vorschrift sei nicht mehr zeitgemäß angesichts der Entwicklung der Medienlandschaft.
Bislang haben die Karlsruher Richter jedoch anders entschieden. Der Gedanke hinter der Strafnorm ist, dass Zeuginnen und Zeugen sowie Laienrichter vor einem Prozess nicht beeinflusst werden sollen durch vorläufige Ermittlungsergebnisse.
Journalist will grundsätzliche Klärung
Dem angeklagten Journalisten geht es um eine grundsätzliche Klärung der Rechtsfrage. Darum ging er auch nicht auf das Angebot des Gerichts ein, das Verfahren gegen ihn einzustellen. Aus Sicht des Gerichts müsse jeweils im Einzelfall abgewogen werden und im vorliegenden Fall sei die Schuld gering, so der Vorsitzende Richter Bo Meyer.
„Es liegt mir fern, Herrn Semsrott an den Pranger zu stellen“, betonte Oberstaatsanwalt Hild in seinem Plädoyer. Aber dieser habe gegen das Gesetz verstoßen und seine Argumentation überzeuge ihn nicht. „Es bleibt die Möglichkeit, auch ohne wörtliche Wiedergabe, sich kritisch mit der Sache auseinanderzusetzen.“ Eine konkrete Gefährdung habe es durch die Veröffentlichung nicht gegeben und es handele sich nicht um „Sensationsjournalismus“. Hild beantragte darum eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50 Euro.
Auch Staatsanwaltschaft sieht besondere Bedeutung
Die Staatsanwaltschaft hatte den Fall wegen der besonderen Bedeutung der Rechtsfrage im Hinblick auf die Pressefreiheit beim Landgericht und nicht beim eigentlich zuständigen Amtsgericht erhoben. Das Urteil soll an diesem Freitag (18. Oktober) gesprochen werden, wie Richter Meyer sagte. Zuvor steht noch das Plädoyer der Verteidigung an.
So oder so wird der Fall die Justiz wohl noch länger beschäftigen: Sollte das Landgericht den Fall nicht Karlsruhe vorlegen, sondern Semsrott verurteilen, will der Journalist alle Rechtsmittel ausschöpfen, um den Fall vor das höchste deutsche Gericht zu bringen.