Drohnensichtungen über kritischer Infrastruktur und Kasernen nehmen zu. Ein Konzept zur Abwehr fehlt. Wie kann das sein?

Drohnensichtungen über kritischer Infrastruktur und Kasernen nehmen zu. Ein Konzept zur Abwehr fehlt. Wie kann das sein?

Neulich in Schleswig-Holstein: Das Gelände des Industrieparks Brunsbüttel wird im August gleich mehrfach von größeren Drohnen überflogen, teils mitten in der Nacht. In der Nähe liegt ein LNG-Terminal, das Flüssigerdgas für das deutsche Gasnetz liefert. Wenige hundert Meter weiter liegen die Schleusen zum Nord-Ostsee-Kanal. Und auch das Kernkraftwerk Brunsbüttel, bis 2007 am Netz, ist nicht weit. Schnell gibt es einen Verdacht: Spionage russischer Dienste. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Brunsbüttel ist nicht der einzige Ort in Deutschland, an dem eigentlich keine Drohnen fliegen sollten, und doch immer wieder welche gesichtet werden. An Truppenübungsplätzen, wo ukrainische Soldaten ausgebildet werden. An Flughäfen und anderer kritische Infrastruktur. Die Fälle häufen sich und sind ein zunehmend politisches Problem, weil sie ein schlechtes Licht auf die deutsche Drohnenabwehr werfen. Sind wir ausreichend gewappnet?

„Wir sind in Deutschland bei Drohnen jeglicher Art und bei effektiven Fähigkeiten zur Drohnenabwehr, aber auch der elektronischen Kampfführung nahezu blank“, warnt Roderich Kiesewetter. „Unterentwickelt“ sei die Fähigkeit, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Bundeswehr-Oberst dem stern. Und sieht Deutschland deshalb vor massiven Problemen.

Auch die Grünen sind alarmiert. „Es gibt zwei Lücken: Eine Fähigkeitslücke, ganz real. Offenkundig gibt es bislang keine ausreichenden Systeme, um derartige militärische Drohnen abzuwehren“, sagt der schleswig-holsteinische Grünen-Abgeordnete Jan Kürschner. „Zweitens ist es ein Problem des Umgangs mit den Zuständigkeiten.“ Die Drohnenabwehr sei zunächst originäre Polizeiaufgabe, meint Kürschner. „Die Polizei ist damit aber derzeit schlicht überfordert. Mit dieser Problematik müssen wir uns dringend auseinandersetzen.“

Zuständigkeitswirrwarr: Wenn die Bundeswehr die Polizei ruft

Das Zuständigkeitswirrwar entwickelt sich zu einem Sicherheitsrisiko. Über die genauesten Möglichkeiten zur Luftüberwachung verfügt die Bundeswehr. Wenn eine Drohne in der Nähe eines deutschen Militärstandortes gesichtet wird, so ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, dürfe nur im Ausnahmefall von dieser eingegriffen werden: Dann, wenn unmittelbare Gefahr für den Standort oder die Soldaten bestehe. 

Verfassungsschutz Sabotage Warnung 9:21

In allen anderen Fällen endet die Verantwortlichkeit der Bundeswehr am Kasernenzaun. Außerhalb, so der Sprecher, „haben wir uns mit den zivilen Behörden, die für diesen Bereich zuständig sind, abzustimmen, und diese müssen dann handeln.“

Betreiber kritischer Infrastrukturen wie das LNG-Terminal oder der Chemiepark in Brunsbüttel müssen sich selbst vor Störfällen schützen. Ein Grund, warum Betriebsfeuerwehren und Werksschutz zum Standard gehören. „Die großen Chemieparks, Umspannwerke, Windparks mit ihren Rechenzentren, all das wird über die privaten Sicherheitsdienste geregelt“, sagt Martin Maslaton, Vertreter des Branchenverbands Zivile Drohnen (BVZD). „Aber rechtlich gibt es keine Erlaubnis, Drohnen abzuwehren.“ Sogar ausdrücklich verboten seien manche der Möglichkeiten: „Einige der wirksamen Maßnahmen würden außerhalb des eigenen Grundstücks stattfinden.“

Was Maslaton meint: Drohnen werden normalerweise dadurch zur Landung gebracht, dass das Funksignal zwischen Drohne und Pilot gestört wird. Das Fluggerät sollte dann automatisch zur Landung ansetzen oder zum Startpunkt zurückkehren. Um das zu erzwingen, muss allerdings ein starker Funksender zielgerichtet eingesetzt werden – das sogenannte Jamming. Doch dieses kann auch alle anderen Funknetze in der Umgebung stören. Für Privatunternehmen ist der Einsatz daher fast immer verboten. Sie müssen, so wie die Bundeswehr, bei Drohnen außerhalb des eigenen deshalb Geländes die Polizei rufen.

Eine Drohne wird von Soldaten der russischen UAV-Einheit in der militärischen Sondereinsatzzone eingesetzt
© Alexei Konovalov / TASS

Drohnenabwehr: Aufrüstung gegen Hobbydrohnen

Immerhin: Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern haben in den vergangenen Monaten Drohnenabwehrsysteme für die Polizei beschafft. Derzeit werden Beamte an den Systemen ausgebildet.

Die Bundespolizei am Frankfurter Flughafen wird ein Drohnenabwehrsystem der Firma Securiton bekommen, für „Detektion, Verifikation und Intervention“ – Erkennen, Prüfen, Abfangen. Securiton, eine Tochter des Schweizer Securitas-Unternehmens, hat Drohnenabwehrlösungen schon für das Weltwirtschaftsforum entwickelt. Es kann Drohnen erkennen, zur Landung zwingen und den Standort der Piloten ermitteln. Die Zielgruppe auch hier: Klein- und Kleinstdrohnen.

An der Bundeswehr-Universität in Hamburg wurde ein Projekt durchgeführt, um Drohnen zu bekämpfen. Gute Drohnen sollen unerwünschte Drohnen vom Himmel fischen – mit verschossenen Netzen, in denen die angegriffene Drohne hängen bleibt. Das „Projekt Falke“ verspricht einen „dynamischen Dogfight“ – also das vollautomatische Abfangen der anderen Drohne. Das System wurde zuerst am Flughafen Hamburg getestet – und wirkt. Aber auch dieses ist nur gegen Kleinstdrohnen ausgerichtet, die Jägerdrohnen fliegt für ein kleines Gebiet maximal 100 Kilometer pro Stunde schnell.

Russische Desinformation vom Kreml aus gesteuert 11.34

Gegen Drohnen militärischer Güteklassen dürfte auch der Falke hilflos sein. Was zivile Drohnenabwehrsysteme kaum können: Spähdrohnen wie die russische Orlan oder gar Kampfdrohnen abfangen. Die fliegen weitgehend autonom, deutlich schneller und teils hunderte Kilometer weit. Sie sind die deutlich größere Gefahr. 

Für den CDU-Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter ist klar: Solchen Drohnen wird man mit dem jetzt zur Verfügung stehenden Gerät kaum beikommen. „Künstliche Intelligenzmodule zur automatischen Zieldetektion gibt es nicht“, schildert er die Lage. „Die Drohnenabwehr zum Beispiel auf unseren Fregatten ist für die Bedrohungslagen nicht ausreichend, deshalb ist unsere militärische Leistungsfähigkeit etwa im Roten Meer mehr als beschränkt.“ Dort schoss die Fregatte Hessen immerhin schon einmal Drohnen der Huthi-Milizen ab – und einmal beinahe aus Versehen eine US-Drohne.

Hilft uns ausgerechnet die Ukraine?

Und zu Hause in Deutschland? Die Bundeswehr schafft mit dem Skyranger derzeit einen Kanonenradpanzer an, der Drohnen abschießen kann. 19 Stück wurden für den Nachfolger des außer Dienst gestellten Gepard-Panzers bestellt. Das sind drei mehr, als die Bundeswehr Flugplätze und Fliegerhorste hat: 16 in Deutschland. 

Dem stehen mehr als 2000 als kritische Infrastruktur geltende Anlagen wie Wasserwerke oder Kraftwerke in Deutschland gegenüber. Je nachdem, wie man zählt, sind es eher zehntausende empfindliche Anlagen, deren Ausfall Deutschland großen Ärger bereiten würde.

Flugabwehrraketen wie Iris-T-SLS sind ebenfalls Mangelware und teuer. Zudem sind die eigentlich für noch gefährlichere Angriffswaffen, Flugzeuge, Cruise-Missiles und Raketen vorgesehen. Waffenhersteller wie Rheinmetall oder KNDS entwickeln daher derzeit kleinere Systeme zum Abschuss – oft auch im autonomen Betrieb. Raytheon und Diehl Defence haben gar Kanonen entwickelt, die den Himmel mit gezielten Energieschüssen von Drohnen säubern sollen. Doch deren Nutzung in der dicht besiedelten Bundesrepublik außerhalb eines Krieges scheint kaum denkbar.

Könnten eigene, bewaffnete Drohnen die Lösung sein, um Spähdrohnen vom Himmel zu holen? Bislang nicht. Jahrelang hatten Bundesregierungen über die Anschaffung bewaffnungsfähiger Drohnen für Einsätze der Bundeswehr gestritten. Fünf Drohnen vom israelischen Typ HeronTP leaste die Bundeswehr, seit Mai stehen sie der Bundeswehr zur Verfügung. Gedacht waren sie für Auslandseinsätze wie Mali oder Afghanistan, wo Gegner vor allem mit Gewehren, Granatwerfern, Pick-Ups und Panzerfäusten bewaffnet waren. Für ein Szenario mit einem Gegner wie Russland und dessen militärische Fähigkeiten, sind sie weitgehend nutzlose, lahme Enten: Sie wären wohl schnell vom Himmel geschossen, heißt es aus Militärkreisen. Doch über andere Kampfdrohnen verfügt die Bundeswehr bislang nicht – also auch keine, die andere Drohnen vom Himmel holen könnten. 

STERN PAID 19_24 Titel Spionage 18:00

CDU-Mann Kiesewetter setzt daher auf eine engere Zusammenarbeit mit der Ukraine: „Wesentliche Entwicklungen gehen an der Diskussionsrealität in Deutschland vorbei, geschweige denn, dass wir in den Aufbau mit relevanten Partnern investieren.“ Die ukrainischen Rüstungsfirmen seien gezwungenermaßen derzeit die größten Experten auf diesem Gebiet, Deutschland könne davon nur profitieren.

Ein Problem aber würde auch dann bleiben, wenn die fehlende Technik beschafft wäre: Ein Drohnenabschuss über kritischer Infrastruktur wie Chemieanlagen, LNG-Terminals oder Kraftwerken birgt hohe Risiken. Trümmerteile könnten dort verheerende Folgen auslösen. „Man kann die Drohnen nicht über Brunsbüttel abschießen“, sagt der Grünen-Landtagsabgeordnete Jan Kürschner daher.

Dort ist die Aufregung erst einmal vorbei. Seit einigen Wochen herrscht Ruhe am Brunsbütteler Nachthimmel. Nur wie lange, das weiß niemand. „Nein, Sorgen müssen sich die Bürgerinnen und Bürger nicht machen“, sagt Bürgermeister Martin Schmedtje dem stern. Doch ein ungutes Gefühl bleibt: „Mich persönlich haben die Drohnenflüge nachdenklich gemacht, tragen sie doch den Konflikt in der Ukraine unmittelbar vor unsere Haustür.“ Schmedtje wird nicht der letzte deutsche Bürgermeister sein, der darüber nachdenken muss. 

An den rechtlichen Vorgaben für Drohnenflüge sind derzeit keine Änderungen geplant. Und ein Gesetz zum besseren Schutz kritischer Infrastrukturen steckt seit über einem Jahr in der Bundesregierung fest. Eigentlich sollte es im Oktober in Kraft treten.