Zum Tag der Deutschen Einheit haben Politiker zu mehr Anerkennung für ostdeutsche Erfahrungen und zum Kampf gegen Benachteiligungen aufgerufen. "Für Millionen war der Umbruch in den Jahren nach der Einheit vor allem ein Zusammenbruch", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag beim Festakt in Schwerin. "Ein Zusammenbruch ihres gesamten bisherigen Lebens, so wie sie es gekannt und gelebt hatten. Eine Entwertung ihres Wissens, ihrer Erfahrungen, ihrer Lebensleistung."

Zum Tag der Deutschen Einheit haben Politiker zu mehr Anerkennung für ostdeutsche Erfahrungen und zum Kampf gegen Benachteiligungen aufgerufen. „Für Millionen war der Umbruch in den Jahren nach der Einheit vor allem ein Zusammenbruch“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag beim Festakt in Schwerin. „Ein Zusammenbruch ihres gesamten bisherigen Lebens, so wie sie es gekannt und gelebt hatten. Eine Entwertung ihres Wissens, ihrer Erfahrungen, ihrer Lebensleistung.“

Diese Erfahrungen dürften „niemals vergessen oder unter den Teppich gekehrt werden“, sagte der Kanzler. „Hier liegt wohl eine der Ursachen für die noch immer besondere Stimmung – die besondere Verstimmung – und für politische Besonderheiten, die Ostdeutschland heute kennzeichnen.“

Ähnlich äußerte sich Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). „Für die meisten Menschen in den westdeutschen Ländern änderte sich durch die deutsche Einheit nicht viel“, sagte sie, „aber für uns Menschen in Ostdeutschland, für unsere Familien veränderte sich hingegen fast alles.“ Angesichts dieser Erfahrungen sei es „nachvollziehbar, dass die Sorge, das Erreichte könne wieder verloren gehen, in Ostdeutschland ausgeprägter ist.“

Der Osten „bleibt anders: mit seinen Erwartungen und Erfahrungen, mit seinen Einstellungen und Lebensentwürfen“, führte Schwesig in ihrer Rede aus. Über diese Unterschiede sei in der Vergangenheit zu oft hinweggegangen worden. Das müsse sich ändern. Es gebe noch Benachteiligungen wie unterschiedliche Löhne, geringeres Vermögen oder weniger große Unternehmen in Ostdeutschland, „mit denen wir uns nicht abfinden dürfen“.

Kanzler Scholz äußerte sich besorgt über Landtagswahlen, „bei denen sich manchmal bis zu einem Drittel der Wählerinnen und Wähler gerade für eine autoritäre und nationalradikale Politik entscheidet“. Das sei „verhängnisvoll“ und richte großen Schaden an. „Das schadet Sachsen, Thüringen und Brandenburg“, sagte er. „Das schadet unserem gesamten Land – unserer Wirtschaft und unserem Ansehen in der Welt.“ Es werde „noch viel harte Arbeit nötig sein, um diese Entwicklung zurückzudrehen“.

Gleichwohl sei die politische Mitte „viel größer als die Radikalen an den Rändern“, sagte Scholz. Die „ganz große Mehrheit“ der Bürgerinnen und Bürger überall in Deutschland stehe fest auf dem Boden der freiheitlichen Ordnung. „Das sind die Vernünftigen und die Anständigen. Das sind die, die nicht nur motzen, sondern anpacken für unser Land.“

Scholz sagte weiter, es gebe „kein einziges vergleichbares Land der Welt, das in den vergangenen Jahrzehnten vor einer ähnlichen Herausforderung stand wie Deutschland: vor der Herausforderung nämlich, zwei über vier Jahrzehnte hinweg geteilte, völlig verschieden organisierte Teilgesellschaften zusammenzubringen – wirtschaftlich, politisch, kulturell und mental“.

Dies begründe einen „angemessenen Stolz auf das, was wir seither gemeinsam in Deutschland geschafft haben“, sagte Scholz. Dass weiterhin Unterschiede zwischen Ost und West bestünden, dürfe nicht nur als Makel gesehen werden. 

„Die Vorstellung, die Deutsche Einheit wäre dann ‚vollendet‘, wenn der Osten irgendwann einheitlich exakt so ist wie der Westen – wo es doch diesen einen einheitlichen Westen gar nicht gibt -, diese Vorstellung hilft uns im vereinten Deutschland tatsächlich nicht mehr weiter“, sagte er. „Sie sorgt nur für Verbitterung und für Frust, weil sie gar nicht erreichbar oder erstrebenswert ist“, fügte der Kanzler hinzu. „Unsere innere Vielfalt ist kein Defizit – sie ist eine besondere Stärke unseres Landes.“

Der Linke-Politiker Gregor Gysi kritisierte in einem Interview anhaltende Benachteiligungen. „Nach wie vor müssen sie im Osten zum Teil länger arbeiten, bei geringeren Löhnen für die gleiche Arbeit“, sagte er „Politico“ vom Donnerstag. „Sie beziehen eine geringere Rente für die gleiche Arbeit.“ Die Ostdeutschen stellten 17 Prozent der Bevölkerung, aber nur sieben Prozent der Führungskräfte, sagte Gysi. Zur Erklärung für unterschiedliches Wahlverhalten in Ost-und Westdeutschland zog er eine „tiefe Enttäuschung bei der Herstellung der deutschen Einheit“ heran.