Scholz glaubt noch an sich, aber die Koalition scheint festgefahren. Unser Chefredakteur fragt sich: Wie lange kann das gut gehen? Gregor Peter Schmitz über den aktuellen stern.

Scholz glaubt noch an sich, aber die Koalition scheint festgefahren. Unser Chefredakteur fragt sich: Wie lange kann das gut gehen? Gregor Peter Schmitz über den aktuellen stern.

„Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“ Politikerinnen und Politiker zitieren diesen Perikles-Satz gern. Sie leben ihn freilich selbst eher ungern, wie aktuell die Ampelregierung belegt. Christian Lindner von der FDP macht keinen Hehl daraus, dass er die Koalition für eine toxische Beziehung hält. Aber die Traute, Schluss zu machen, hat er nicht.

Robert Habeck von den Grünen traut sich zwar, zwei Sündenböcke in der eigenen Partei zurücktreten zu lassen. Er selbst bleibt aber auf seinem Posten und will gar Kanzlerkandidat werden.

Und Kanzler Olaf Scholz von der SPD? Der traut sich vor allem, alles besser zu wissen als jeder andere. Unser Titelautor Nico Fried schreibt: „Olaf Scholz glaubt noch an sich. Das hört bei ihm nie auf.“ Doch für Fried, der Scholz seit 20 Jahren beobachtet, kommt das Scholz’sche Prinzip der Unfehlbarkeit nun an Grenzen: „Irgendwann steht auch die Demokratie auf dem Spiel, der Glaube an ihre Reaktionsfähigkeit, das Vertrauen in die Akteure, in deren Einsicht und ihr Verantwortungsbewusstsein. Irgendwann, jetzt, muss der Kanzler was tun.“

Ist es despektierlich, den lockeren Spruch „Ist das Kunst oder kann das weg?“ auf den Bundeskanzler anzuwenden und Scholz auf einer Sackkarre halb auf dem Weg nach draußen zu zeigen? Das mag sein, aber so kann es nicht weitergehen in dieser Ampelregierung. Das anzuerkennen, dazu braucht es Mut. Der kann aber befreiend wirken, siehe oben.

STERN PAID 41_24 Scholz Wiederwahl

Baerbock beweist indes Mut

Mut braucht es, um als Politiker zuzugeben, dass man sich zuweilen machtlos vorkommt, ohnmächtig gar. Für Frauen, die im harten Politikalltag oft kritischer beäugt werden, gilt dies vielleicht noch mehr. Außenministerin Annalena Baerbock tut dies im stern-Gespräch mit Miriam Hollstein und Jan Rosenkranz, wenn sie über die Pendeldiplomatie im Nahen Osten spricht, wo die Lage ein Jahr nach dem Terroranschlag der Hamas auf Israel explosiver ist denn je: „An manchen Tagen fühle ich mich sehr frustriert.“

Man muss nicht mit allem einverstanden sein, was Baerbock als deutsche Außenministerin angestoßen hat, aber Mut kann ihr niemand absprechen. Als der russische Außenminister Sergej Lawrow Wodkatrinken mittags zum Härtetest erkor, sagte sie ihm, zwei Kinder geboren zu haben sei Härte genug. Und als sie Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu darauf hinwies, dass in Gaza Hunger herrsche, ließ sie sich von diesem anschreien, wie sie bestätigt: „Diplomatie bedeutet auch, nicht um den heißen Brei herumzureden.“

Den deutschen Grundkonflikt kann Baerbock jedoch nicht auflösen. Wir schulden Israel als Deutsche jede Solidarität. Aber wie viel Solidarität schulden wir Netanjahu, der Feinde von Israel mit extremer Härte ausschaltet, dadurch aber auch die Region in Flammen zu setzen droht? Geht es ihm dabei um sein Land oder um seine eigene Macht?

STERN PAID 41_24 Baerbock: „Das wichtigste ist: nicht resignieren“ 05.54

Verbrechen gehört nicht nur zum Leben, sondern auch zum stern. Unsere Reporterinnen und Reporter treibt aber meist die Frage um, was nach dem Verbrechen geschieht – vor allem mit den Menschen, die irgendwie weiterleben müssen. Mein Kollege Nico Schnurr hat sich einen traurigen Fall in Bramsche in Niedersachsen angeschaut, wo vor rund anderthalb Jahren ein offenbar psychisch gestörter Mann den 16-jährigen Sohn seiner Nachbarin erschoss. Die Mutter musste dies mitansehen, aber beschloss noch im Krankenhaus, nicht wegzuziehen, sondern weiterzuleben in ihrer Wohnung neben dem Tatort, neben der Wohnung des Täters, neben Nachbarn, von denen manche immer noch Kontakt zum Mörder halten. Ich stellte mir nach der Lektüre die Frage: Für wen bedeutet so eine Tat eigentlich lebenslänglich?