Es ist ein großes Projekt aus dem Koalitionsvertrag: das Gleichbehandlungsgesetz. Nun könnte es scheitern. Unter Kretschmanns Grünen tobt ein heftiger Streit.

Es ist ein großes Projekt aus dem Koalitionsvertrag: das Gleichbehandlungsgesetz. Nun könnte es scheitern. Unter Kretschmanns Grünen tobt ein heftiger Streit.

Es soll eigentlich vor Diskriminierung durch Behörden schützen, doch viele Kritiker fürchten nun ein Bürokratiemonster: Um das geplante Gleichbehandlungsgesetz, eines der letzten zentralen Projekte der grün-schwarzen Landesregierung, ist ein heftiger Streit bei den Grünen ausgebrochen. 

Der Amtschef des Staatsministeriums, Florian Stegmann (Grüne), will das Projekt nach SWR-Informationen fallen lassen, was bei der Fraktion heftigen Protest auslöste. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), derzeit auf Auslandsreise, sah sich zu einer Stellungnahme genötigt: Er stellte am Abend klar, dass er an dem Gesetz festhalten wolle. 

In einem Schreiben, das dem SWR und der dpa vorliegt, hatte Stegmann dem Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz zuvor mitgeteilt: „Sowohl aus grundsätzlichen Erwägungen als auch aufgrund der konkreten Ausgestaltung kann und werde ich den aktuell vorliegenden Entwurf für ein Gleichbehandlungsgesetz nicht in die weitere Regierungsabstimmung bringen.“ Grund sei die mit dem Gesetz verbundene Bürokratie. 

Stegmann ist Beauftragter des Landes für Bürokratieabbau. Er forderte in dem Brief, auf die „Umsetzung des Koalitionsvertrags in diesem Punkt“ zu verzichten – vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion. Die Regierung sehe sich mit einer Stimmungslage konfrontiert, die man nicht ignorieren könne und dürfe, so Stegmann.

Grüne entsetzt: „Friendly fire“ aus den eigenen Reihen?

In der Grünen-Fraktion löste Stegmanns Vorstoß nicht nur Wut, sondern schieres Entsetzen aus. Dort war von „friendly fire“ (Eigenbeschuss) die Rede, und von einem „beispiellosen In-den-Rücken-Fallen“. Stegmann habe sich damit absolut disqualifiziert, man könne sich nicht vorstellen, wie eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit aussehen solle. 

Auch der Landesverband der Grünen zeigte sich verärgert über Stegmanns Brief. „Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, Menschen mit Diskriminierungserfahrung Sicherheit im Umgang mit staatlichen Behörden zu geben“, betonte der Landesvorsitzende Pascal Haggenmüller. Das Gesetz könne das Vertrauen zwischen Bürgerinnen und Bürgern, dem Staat und seinen Institutionen stärken. 

Kretschmann zieht die Bremse

Kretschmann befindet sich derzeit auf Auslandsreise in Südosteuropa. Nach einer Krisenschalte zu dem Thema lässt er über einen Sprecher des Staatsministeriums verbreiten: „Wir stehen weiter darüber im Austausch, wie wir die Ziele des Gleichbehandlungsgesetzes wirksam und unbürokratisch erreichen.“ Damit signalisiert der Regierungschef, dass das Thema für ihn längst nicht gegessen ist. 

Doch der Widerstand gegen das Vorhaben war in den vergangenen Wochen enorm gewachsen. Der Normenkontrollrat hatte bereits im Mai enorme Bedenken geäußert. Er halte das Gesetz für überflüssig, weil damit neue, teure Bürokratie aufgebaut werde. 

Angesichts der bestehenden Gesetze und Institutionen sieht der Normenkontrollrat, der für den Abbau der Bürokratie im Land zuständig ist, „keinen Regelungsbedarf für ein Gleichbehandlungsgesetz“. Auch die kommunalen Landesverbände und Wirtschaftsverbände lehnen das Vorhaben ab.

Die CDU-Fraktion nahm Stegmanns Vorstoß zunächst dankend auf. Verwaltung, Politik und Wirtschaft müssten vertrauensvoll miteinander arbeiten, sagte Fraktionschef Manuel Hagel. „Gleichzeitig muss es doch heute mehr denn je darum gehen, Bürokratie wirksam abzubauen und nicht immer neue Bürokratie zu schaffen. Zu diesen beiden wichtigen Zielen stand aus unserer Sicht das Gleichbehandlungsgesetz schon immer in einem Widerspruch.“ Wenn der Koalitionspartner auf das Gleichbehandlungsgesetz verzichten möchte, sei das vollkommen richtig, so Hagel.

Antidiskriminierungsgesetz war im Koalitionsvertrag geplant

Aber was steckt dahinter? Im Koalitionsvertrag hatten Grüne und CDU ein landeseigenes Antidiskriminierungsgesetz angekündigt, damit sich Bürgerinnen und Bürger künftig leichter gegen eine Benachteiligung durch Behörden wehren können – beim Finanzamt, in der Ausländerbehörde oder auf dem Polizeirevier. Das Kabinett hatte das Gesetz im Dezember vergangenen Jahres auf den Weg gebracht. 

Dem Entwurf zufolge bekommen Betroffene damit erstmals einen gesetzlich verankerten Schadens- und Schmerzensgeldanspruch, wenn sie durch eine Behörde oder öffentliche Stelle diskriminiert werden, etwa wegen der sexuellen Identität oder einer Behinderung.

Der Grünen-Innenpolitiker Oliver Hildenbrand ist zentraler Antreiber hinter dem Gesetz. Die Regierung schließt aus seiner Sicht damit eine Lücke im Antidiskriminierungsrecht. Denn das Gesetz soll das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz des Bundes ergänzen, das Diskriminierung im privaten Bereich betrifft. 

„Ich kämpfe seit den Koalitionsverhandlungen für dieses Gesetz. Und ich gebe es nicht auf“, sagte er zu dem Brief Stegmanns. „Es geht um ein zentrales Versprechen, das unser Grundgesetz allen Menschen in Deutschland gibt: Nämlich, dass niemand aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Religion, Sprache oder anderen Merkmalen benachteiligt werden darf.“ Dafür werde er sich weiter starkmachen.

Heftige Reaktionen im Land 

Sozialverbände protestierten, die Wirtschaft und die Kommunen hingegen begrüßten den Vorstoß Stegmanns, sahen das Gesetz in ihren Stellungnahmen bereits als erledigt an. Die Kommunen sprachen von einem wichtigen Schritt in die richtige Richtung. 

„Ein Gesetz, das Misstrauen gegenüber dem Staat und den öffentlich Beschäftigten sät, wäre in diesen herausfordernden Zeiten das absolut falsche Signal gewesen“, teilten sie mit. „Das Gesetz hätte Prozesse weiter verlangsamt und die ohnehin schon stark überlasteten Behörden durch neue Anforderungen irgendwann lahmgelegt“, sagte Claus Paal vom Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertag. Auch das Handwerk lobte den Vorstoß aus dem Staatsministerium. 

Der Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung Baden-Württem­berg protestierte hingegen. „Fehlende Barrierefreiheit und herabsetzende Äußerungen zählen zu den häufigsten Formen der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen“, so Geschäftsführerin Jutta Pagel-Steidl. Nur durch Diskriminierung entstehe ein Bürokratiemonster. „Das Gesetz wäre eine große Chance, das gerade bei vielen Menschen erodierende Vertrauen in den Staat wiederherzustellen“, betonte Martin Gross, Landesbezirksleiter der Gewerkschaft Verdi.

Wie es nun weitergeht nach Kretschmanns Ansage, ist offen.