Mitregieren trotz Fundamentalopposition: Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) steht vor einem schwierigen Spagat im Bundestagswahlkampf. Das zeigen auch die Sondierungen.

Mitregieren trotz Fundamentalopposition: Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) steht vor einem schwierigen Spagat im Bundestagswahlkampf. Das zeigen auch die Sondierungen.

Es ist ein ausgesprochen schöner Montagmorgen. Der Erfurter Dom gleißt in der Herbstsonne, während Katja Wolf ihr extra optimistisches Gesicht aufsetzt. „Wir sind voller Energie und wir wissen, worum es geht“, sagt sie in Fernsehkameras. „Nämlich Thüringen gut zu gestalten.“

Es ist noch nicht lange her, da amtierte Wolf in Eisenach als Oberbürgermeisterin für die Linke. Nun führt sie das Thüringer BSW – und könnte, falls den Kolportagen aus dem ländlichen Politikbetrieb zu trauen ist, in einigen Wochen die neue Finanzministerin des Landes sein. 

Doch das muss erst noch im „Dompalais“ verhandelt werden, einem Zweckbau, in dem an diesem Montag die formalen Sondierungsgespräche mit CDU und SPD über eine gemeinsame Landesregierung beginnen. Dabei gilt dasselbe wie in Sachsen und Brandenburg, wo das BSW ebenso zum Regieren gebraucht wird: Gewiss ist nichts. Das liegt zum einen an den teils unterschiedlichen Interessen der Beteiligten selbst. Aber es liegt auch an den divergierenden Perspektiven der Bundesparteien und ihrer zugehörigen Landesverbände.

In der Bundes-CDU etwa gibt es eine hörbare Minderheit, die Gespräche mit der Wagenknecht-Partei aus Prinzip ablehnt. Eine parteiinterne Initiative meldete zuletzt 5000 Unterschriften gegen Koalitionen mit dem BSW. „Finger weg von diesem Bündnis Sahra Wagenknecht“, sagte der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter zuletzt. Selbst Parteichef Friedrich Merz bezeichnete Koalitionen mit dem BSW als „sehr, sehr, sehr unwahrscheinlich“.

Und auch in der SPD regt sich Widerstand gegen das BSW. „Unsere Rolle ist nicht in einer Regierung der kleinen und großen Übel, in der wir unseren Zielen nicht gerecht werden können“, beschlossen etwa die Thüringer Jusos am Wochenende in einem Leitantrag. 

Besonders spannend allerdings stellt sich das Wechselspiel gegensätzlicher Machtinteressen beim Bündnis Sahra Wagenknecht dar. Während die Parteispitze unter ihrer Namensgeberin weiter auf einen populistischen Fundamentaloppositionskurs setzt, müssen die Landespolitiker jetzt in den Verhandlungen kompromissbereit sein.

Und: Im Unterschied zur Bundespartei haben die BSW-Politiker in den Ländern ihre Mandate für fünf Jahre sicher und stehen kurz vor Regierungsmacht. Das Hauptziel Wagenknechts bleibt hingegen die Bundestagswahl, die in einem Jahr oder, falls die Ampel-Koalition zerbricht, im Frühjahr 2025 stattfinden wird. Aus dieser Sicht dienten die Landtagswahlen ebenso wie die Europawahl nur als gelungene Probeläufe.  

Nun aber könnte ausgerechnet der Erfolg in den Ländern die frontale Dagegen-Strategie im Bund gefährden. In Brandenburg erreichte das BSW 13,5 Prozent, in Sachsen waren es 11,8 Prozent. Im Ergebnis wird die Partei in beiden Ländern gebraucht, um eine stabile Koalition gegen die zusätzlich erstarkte AfD bilden zu können. In Brandenburg soll das BSW unter einem Ministerpräsidenten Dietmar Woidke der Ampel-Partei SPD die Mehrheit verschaffen. Auch in Sachsen kann CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer nicht ohne die Wagenknecht-Partei regieren. 

Das Politiklabor Thüringen 

Im besonderen Fokus steht wieder das Politiklabor Thüringen, wo das BSW sogar 15,8 Prozent erreichte. Wagenknecht hatte sich für den Wahlkampf gemeinsam mit ihrem Mann Oskar Lafontaine in ein Weimarer Hotel eingemietet und gab später zur Wahlparty Siegesinterviews im Akkord. Dabei bekräftigte sie die Bedingungen, die sie schon im Wahlkampf aufgestellt hatte: Die neue Landesregierung müsse Waffenlieferungen an die Ukraine und die Stationierung neuer US-Raketen klar ablehnen. Ansonsten könnte sich das BSW nicht beteiligen.

Wagenknecht fürchtete offenkundig schon damals, dass sich die frei gewählten Abgeordneten der drei Landtagsfraktionen ver­selbst­stän­di­gen würden. Denn im Unterschied zu ihr haben sie von einer Landesregierung etwas zu gewinnen. Es locken Gestaltungsmacht, Einfluss und Posten. 

Zudem war bei Wolf von Anfang an das Motiv erkennbar, dem krisen- und AfD-gebeutelten Thüringen endlich Stabilität zu geben. Entsprechend geschlossen agierte das BSW in der vergangenen Woche gemeinsam mit CDU und SPD, aber auch mit der Linken bei der dramatischen Wahl des CDU-Landtagspräsidenten. Nicht für einen Moment schien es so, als würde die neue Fraktion mit Björn Höckes Fraktion paktieren. 

Kommentar Thüringen Landtag11.45

Sollbruchstellen im BSW

Überhaupt, Katja Wolf: Bereits zur Parteigründung war klar, dass die Frau, die schon in der PDS als Realpolitikerin auffiel, mit der einstigen Kommunistin Wagenknecht bestenfalls ein Zweckbündnis bildet. Nun zeigen sich die Sollbruchstellen immer deutlicher. Auf die Frage des stern, ob es während der Sondierungsgespräche eine Standleitung nach Berlin gebe, antwortete Wolf am Montagmorgen mit einem klaren „Nein“, um diesen Satz anzufügen: „Aber wir sehen ein bisschen übernächtigt aus.“

Damit bestätigte die Landeschefin indirekt, was viele in der Partei erzählen: Dass sich die Berliner Parteizentrale mit Vehemenz in Thüringen einmischt, was wiederum Dauertelefonate und endlose Videokonferenzen zur Folge hat. Generalsekretär Christian Leye reiste zuletzt sogar eigens nach Erfurt, um an einer Fraktionssitzung teilzunehmen. Dabei, heißt es, soll er nochmals auf die bundespolitischen Positionen bestanden haben. 

Leye bestätigte auf Anfrage seinen Besuch in Thüringen. „Wir lassen uns informieren und tauschen uns aus“, sagte er dem stern. „Ich nehme an, dass es bei den anderen Parteien nicht anders ist.“ Der Frage, ob es schriftliche Sondierungsanweisungen aus Berlin für die Landespartei gebe, wich der Generalsekretär aus. Natürlich habe das BSW ein Interesse daran, seine Positionen in einer künftigen Regierung deutlich wiederzufinden, antwortete er nur. Aber auch dies sei ja wohl völlig normal.

Die Versuchsanordnung ist völlig neu

Wahrscheinlich kommt es darauf an, was man als normal betrachtet. Dass der thüringische Unionschef Mario Voigt und Kretschmer vor Beginn ihrer Gespräche mit dem BSW bei Wagenknecht in Berlin vorsprechen mussten, war eher ungewöhnlich. Auch dass die Parteivorsitzende immer wieder außenpolitische Forderungen ins Zentrum von landespolitischen Verhandlungen stellt, gab es so noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik.

Allerdings ist die aktuelle Versuchsanordnung auch völlig neu. Eine Partei, die es vor einem Jahr noch nicht gab, führt in drei Ländern Gespräche über Regierungsbeteiligungen, will aber gleichzeitig als Spitze der Opposition in den Bundestag gelangen. Eine CDU, die stets jede Zusammenarbeit mit der Linken ausschloss, verhandelt mit einer populistischen Linke-Abspaltung über eine gemeinsame Koalition. Und eine SPD, die in einer der schwersten Krise ihrer langen Geschichte steckt, hat keine andere Wahl, als mit der Partei ihres Ex-Vorsitzenden Lafontaine zu reden.

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Der Ausgang des Wagenknecht-Experiments ist offen, zumal nicht klar ist, ob das teils aus Politikamateuren bestehende Konstrukt BSW dem inneren und äußeren Druck standhält. Die Brandenburger Landespartei wirkt immer noch wie eine Blackbox, derweil es in Sachsen bereits eine Kampfabstimmung um den Fraktionsvorsitz zwischen den beiden Landeschefs gab. 

In Thüringen wiederum besäße eine Koalition aus CDU, BSW und SPD noch nicht einmal eine Mehrheit im Parlament, sondern käme nur auf 44 der 88 Landtagssitze. Die anderen 44 Mandate gehören zu AfD und Linke. Für BSW-Generalsekretär Leye ist dieses Patt eine „spezielle Situation“. Derweil sieht Landeschefin Wolf darin kein Problem. Die Allianz mit CDU und SPD, sagt sie, sei ja „zumindest keine Minderheitsregierung“ wie die bisherige rot-rot-grüne Koalition. Insofern habe man eine „bessere Ausgangslage“. 

Im Zweifel könnte sich Wolf zudem auf Enthaltungen aus ihrer alten Partei verlassen, um eine notwendige Mehrheit zu gewährleisten. Denn dass die Linke im Landtag gemeinsam mit der Höcke-AfD abstimmt, darf als ausgeschlossen gelten.