Es ist schwierig mit der Regierungsbildung in Thüringen: Im Vergleich zu 2019 könnten die Rollen zwischen CDU und Linke vertauscht sein. Und eine noch stärker gewordene AfD macht Ansprüche geltend.

Es ist schwierig mit der Regierungsbildung in Thüringen: Im Vergleich zu 2019 könnten die Rollen zwischen CDU und Linke vertauscht sein. Und eine noch stärker gewordene AfD macht Ansprüche geltend.

Es ist ein Dilemma und auch fast schon ein Déjà-vu: Die CDU will in Thüringen trotz fehlender Mehrheit regieren, aber ein Beschluss der Bundespartei steht ihr im Weg. Schon vor der Wahl sah es in Umfragen nach einer steinigen Regierungsbildung aus, nun steht das Koalitionsverbot zur Linken wie ein Fels zwischen CDU-Chef Mario Voigt und einer Mehrheitsregierung unter seiner Führung. „Wir bewegen uns hier in einer neuen Situation“, sagte Voigt bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in Berlin.

Patt-Situation im Landtag 

Der Grund für die Zwickmühle: Eine seit Wochen diskutierte Koalition aus CDU, dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und SPD hat mit 44 von 88 Sitzen keine eigene Mehrheit im Thüringer Landtag – eine Stimme fehlt. Manche sprechen bereits von einer Situation wie 2019 – mit umgekehrten Vorzeichen. Damals war Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) mit seiner rot-rot-grünen Minderheitsregierung auf Unterstützung der CDU angewiesen, nun könne Voigt die von Ramelow brauchen. Und um die Lage noch komplizierter zu machen, pocht auch die AfD mit ihrem Rechtsaußen Björn Höcke nach einem historischen Wahlsieg mit 32,8 Prozent der Stimmen auf ihren Regierungsanspruch. 

Voigt sagte: „Wir streben eine CDU-geführte Regierung an. Wir werden natürlich jetzt ausloten, welche Möglichkeiten unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen machbar sind.“ In einem ersten Schritt wolle die CDU mit SPD und BSW ins Gespräch kommen. Die CDU von Voigt landete bei der Landtagswahl mit 23,6 Prozent auf dem zweiten Platz. 

Brandmauer zur Linken

Eine Mehrheit hätte dagegen eine Koalition aus CDU, BSW und Linke. Doch ein Unvereinbarkeitsbeschluss verbietet der CDU eine Zusammenarbeit mit AfD oder Linken, die zumindest Gesprächsbereitschaft signalisiert. Parteichefin Ulrike Grosse-Röthig sieht den Ball jedoch zunächst im Feld der CDU. Gleichzeitig sagt sie: „Wir nehmen jede Verantwortung an, die uns der Wähler auf den Tisch gelegt hat.“ Der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU bedürfe ganz offensichtlich der Überarbeitung, so Grosse-Röthig nach einem Treffen mit dem Linke-Bundesvorstand in Berlin

Die Begriffe Tolerierung oder Duldung fielen dabei aber nicht. Ramelow hatte noch am Wahlabend Unterstützung bei der Regierungsbildung angeboten, wenn das von den anderen Parteien gewünscht werde. „Ich werde alles tun, dass es zu einer Mehrheitsregierung kommt.“ Ob das auch eine Tolerierung einer möglichen Koalition aus CDU, BSW und SPD sein könnte, ließ der Linke-Politiker offen. „Ich muss nicht spekulieren“, sagte er der dpa. 

Merz betonte, dass der Unvereinbarkeitsbeschluss weiter gelte. Damit umzugehen werde Sache der beiden Landesverbände in Sachsen und in Thüringen sein. Kretschmer nannte den Unvereinbarkeitsbeschluss richtig. „Mit dem Unvereinbarkeitsbeschluss ist eine Regierungsbeteiligung gemeint, ist eine strukturelle Zusammenarbeit gemeint“, sagte er. Er halte es aber für richtig, dass man im Gespräch sei. 

Schweinsburg für Gespräche auch mit der AfD

Die Ex-Landrätin und neue Landtagsabgeordnete Martina Schweinsburg plädierte dafür, nicht nur mit der Linken, sondern auch der AfD in Sondierungsgespräche gehen. „Über 30 Prozent der Thüringer haben AfD gewählt. Und das ist ein Respekt vor dem Wähler, mit denen, die sie gewählt haben, auch zu reden“, sagte die Präsidentin des Thüringer Landkreistages der Deutschen Presse-Agentur. „Diese Pippi-Langstrumpf-Politik, in der man sagt: „Die AfD ist ein böses Kind, mit dem darfst du nicht spielen“ ist gescheitert.“ Sie ist auch für Gespräche mit der Linken, ebenso wie Thüringens ehemalige Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht. 

Die CDU müsse sich angesichts der schwierigen Situation fragen, ob sie sich in Richtung der Linkspartei öffnet, sagte der Politikwissenschaftler Oliver Lembcke der Deutschen Presse-Agentur. Dies würde aber auch zwangsläufig die Diskussion über die Brandmauer nach rechts, zur AfD, neu entfachen, sagte der Experte von der Ruhr-Universität Bochum. 

AfD will Blockade-Option nutzen

Das Dilemma der CDU hat auch mit der Stärke der AfD zu tun. Es ist in Thüringen das erste Mal, dass eine vom Landesverfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte Partei in einem Bundesland stärkste Kraft wird. Obwohl keine der anderen Parteien mit der AfD koalieren will, hat sie mit ihrem Ergebnis einen Machtzuwachs. Mit mehr als einem Drittel der Sitze im Landtag verfügt sie über die Sperrminorität und kann beispielsweise die Wahl von Richtern blockieren, oder eine Landtagsauflösung verhindern. „Wir werden unsere neu verliehene Gestaltungsmacht nutzen“, sagte der Thüringer Co-Landesvorsitzende Stefan Möller nach einem Treffen mit dem Bundesvorstand in Berlin. 

Er machte wie die AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla deutlich, dass die AfD eine Regierungsbeteiligung beanspruche. Zuvor hatte Thüringens AfD-Chef Höcke schon angekündigt, die anderen Parteien zu Gesprächen einladen zu wollen – welche Parteien und wann will der Thüringer AfD-Vorstand nach Angaben eines Sprechers in dieser Woche entscheiden. 

Wolf: Minderheitsregierung keine gute Option

Der Bochumer Forscher Lembcke sagte, Alternativen zu der für die CDU eigentlich verbotenen Koalition mit der Linken wäre eine Unregierbarkeit in dem Bundesland oder eine von der Linken tolerierte Minderheitsregierung. Wählt Voigt die Minderheitsregierung, würde er sich aus Lembckes Sicht noch stärker in eine Abhängigkeit zur Linken begeben – und sich bei Entscheidungen erpressbar machen.

Eine mögliche Minderheitsregierung sieht die Thüringer BSW-Chefin Katja Wolf skeptisch, sie sei „keine gute Option“, sagte die 48-Jährige der dpa. Sie habe eine große Einigkeit auch bei den anderen Parteien vernommen, „dass eine Minderheitsregierung, so wie wir sie in den letzten fünf Jahren erlebt haben, so keine politische Zukunft haben darf in Thüringen“. Man müsse daher schnell in Gespräche kommen „und muss ausloten, was irgendwie möglich ist“

Fest steht einen Tag nach der Wahl, wer die erste Sitzung des neuen Landtags eröffnet: Alterspräsident wird voraussichtlich der 73 Jahre alte Jürgen Treutler von der AfD. Treutler hatte bei der Landtagswahl für die AfD in Sonneberg das Direktmandat gewonnen.