Die Brandenburger Landtagswahl ist so spannend wie nie. Diesmal geht es nicht nur um die Stärke von AfD und BSW. Der 22. September ist auch eine Abstimmung über die Zukunft von Regierungschef Woidke.
Es geht um alles für ihn: um Sieg oder Ende. Dietmar Woidke steht vor einem riesigen Wahlplakat mit seinem Konterfei und sagt: „Ich klebe nicht am Posten.“ Wenn die SPD nicht gegen die AfD gewinnt bei der Landtagswahl am 22. September, will er der Landespolitik den Rücken kehren. „Dann bin ich weg. So einfach ist das.“ Das ist anders als vor fünf Jahren. Und längst nicht nur das.
Anders als in Sachsen und Thüringen ist die SPD in Brandenburg noch ein Faktor – auch wenn ihre Werte in den Wahlumfragen hinter der AfD liegen. Seit 1990 stellt sie im Bundesland den Regierungschef. Nun will die Brandenburger SPD nicht mit dem Strudel der Ampel-Regierung in die Tiefe gerissen werden. Deshalb will Woidke möglichst keinen Wahlkampf mit Kanzler Olaf Scholz oder anderen aus Berlin machen. „Wir brauchen keine geborgte Prominenz“, sagt er.
Kein Wahlkampf mit dem Kanzler? Nicht ganz
Der Kanzler, der derzeit als SPD-Bundestagsabgeordneter auf Sommerreise in seinem Wahlkreis Potsdam unterwegs ist, weicht Fragen aus. Ganz stimmt es nicht, dass es keinen Wahlkampf mit ihm gibt: Scholz ist zur möglicherweise größten Wahlkampfveranstaltung am 30. August nach Potsdam eingeladen, wo Hunderte Gäste erwartet werden – aber eben nur da.
Die CDU unter Landeschef und Spitzenkandidat Jan Redmann spricht längst vom „doppelten Woidke“. Er kritisiere die SPD im Bund, während im Bundestag die SPD-Abgeordneten strittige Gesetze abnickten, lautet sein Vorwurf. Redmann will Woidke beerben und in die Staatskanzlei einziehen.
AfD in Umfragen weiter vorn
Als die Polizei ihn in einer Sommernacht mit 1,3 Promille Alkohol im Blut auf einem E-Roller stoppte, war unklar, ob das die Chancen des CDU-Karrieremannes stark ausbremsen würde. Bisher ist in den Umfragen davon wenig zu spüren. Redmann muss nach einem Strafbefehl nun 8.000 Euro für die Alkoholfahrt zahlen und ist seinen Führerschein noch rund sechs Monate los.
In der jüngsten Wahlumfrage für Brandenburg Anfang August lag die AfD mit 24 Prozent weiter vorn – das ist allerdings deutlich unter den Werten in Sachsen und Thüringen. Dahinter kommt ein recht dichtes Feld: Die SPD folgt mit 20 Prozent, die CDU mit 19 Prozent. Die neue Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) landet bei 17 Prozent.
Grüne und Linke müssen mit je 5 Prozent um den Wiedereinzug ins Parlament fürchten. BVB/Freie Wähler kommen zwar nur auf 4 Prozent und lägen damit unter der notwendigen Fünf-Prozent-Hürde, mit einem möglichen Direktmandat von Spitzenkandidat Péter Vida in seinem Wahlkreis wären sie aber weiter im Landtag vertreten.
Woidke zeigt sich so privat wie nie
Der Wahlkampf läuft auf vollen Touren. Dietmar Woidke ist fast jeden Tag unterwegs und tingelt zu „Strohballenfesten“, um mit Wählern in Kontakt zu kommen. Er hat auch ein eigenes Magazin drucken lassen. Der 62-Jährige, der Privates sonst abschirmt, zeigt sich in diesem Wahlkampf so privat wie nie.
Der „Bunten“ verriet er, dass es mit Frau Susanne bei einem Roland-Kaiser-Konzert gefunkt hat. Im Wahlkampf-Magazin sieht man den Lausitzer als Kind auf dem Bauernhof, als jungen Mann mit langen und als Soldat mit kurzen Haaren. Und erfährt, dass Woidke nicht nur Fan der Rolling Stones und von Bruce Springsteen, sondern auch von Depeche Mode ist.
„Ich bin fest davon überzeugt, dass wir es schaffen werden“, sagt Woidke. Seinen Optimismus zieht er unter anderem aus dem vergleichsweise hohen Wirtschaftswachstum und der Tesla-Ansiedlung. „Es gab noch nie eine Zeit, in der sich Brandenburg so erfolgreich entwickelt hat wie in den letzten Jahren.“ Zum anderen liegt Woidke in Umfragen zur Zufriedenheit mit Spitzenpolitikern im Vergleich zu anderen im Land deutlich vorn.
Die Kronprinzessinnen und Kronprinzen
Sollte aber die AfD stärkste Kraft werden und Woidke wäre weg, käme die große Frage, wer dann die starke Frau oder der starke Mann bei den Sozialdemokraten wäre.
Finanzministerin Katrin Lange aus der Prignitz hätte als stellvertretende Landeschefin vermutlich den ersten Zugriff – und Chancen, weil sie Rückhalt in der Partei hat. Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) hat nach einer sehr positiven Bilanz mit dem Bau der Synagoge und dem Start der Medizin-Uni ebenfalls Chancen. Als Kronprinz gilt auch SPD-Fraktionschef Daniel Keller. Doch das ist bisher Spekulation – und keiner von ihnen äußert sich derzeit dazu.
Rückenwind vom Vorgänger
Ex-Ministerpräsident Matthias Platzeck wirbt für seinen Nachfolger in der Staatskanzlei und sieht bei Woidke „mit Abstand das größte Potenzial“ als Regierungschef. Die Situation sei aber insgesamt schwierig. Die Verknüpfung eines Wahlsiegs mit der politischen Zukunft hält der Ex-Ministerpräsident für nachvollziehbar: „Der Schritt von ihm war mutig, der war aber auch klar.“
Der Potsdamer Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek nennt die Strategie Woidkes überzeugend. „Er weiß, er ist beliebter als seine eigene Partei“, sagt Thomeczek. „Er versucht, auf den letzten Metern ein paar Stimmen gutzumachen, was denke ich funktionieren kann.“
AfD sieht Etappe zu neuen Machtverhältnissen
Falls die AfD vorn läge, würde sie aller Voraussicht nach nicht regieren: Die anderen Parteien wollen mit ihr keine gemeinsame Sache machen. Der Verfassungsschutz stuft die Partei in Brandenburg als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Der Zweitplatzierte könnte dann die Regierungsbildung in die Wege leiten – wer das sein könnte, ist offen.
„Diese Wahlen werden dann eben natürlich eine wichtige Etappe sein auf dem Weg, andere Machtverhältnisse in Deutschland zu bekommen“, sagt AfD-Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt.
BSW könnte wichtige Rolle haben
Eine möglicherweise große Bedeutung für Koalitionsgespräche kommt dem BSW zu – obwohl den Mitgliedern Regierungserfahrung fehlt. Politologe Thomeczek erklärt, warum das BSW in Umfragen so stark ist: „Grundsätzlich gibt es in Ostdeutschland ein größeres Potenzial für jüngere Parteien, weil die Menschen in Ostdeutschland einfach keine so starke Parteibindung haben wie Menschen in Westdeutschland“, sagt er. Das liege auch an den Positionen insbesondere der Außenpolitik. Woidke hält sich Gespräche mit dem BSW offen. „Am Ende braucht es im Regierungshandeln aber Pragmatismus“, sagt er.