Sie ist mit der Pflege ihres dementen Mannes überfordert und mischt eine Überdosis Arznei in zwei Gläser. „Ich konnte nicht mehr schlafen“, sagt die Frau vor Gericht. Es geht um versuchten Mord.
Sie soll aus Überforderung versucht haben, ihren dementen Ehemann zu vergiften: Wegen versuchten Mordes steht seit Montag eine 63-jährige Frau vor dem Hanauer Landgericht. Die Staatsanwaltschaft sieht in dem Vorgehen der Frau Heimtücke – im Strafrecht ein Mordmerkmal.
Wie es in der Anklage heißt, war die Frau mit der Pflege ihres schwer dementen Mannes überfordert. Daher habe die 63-Jährige im August 2023 in Gründau im Main-Kinzig-Kreis geplant, den 79-Jährigen zu töten. Dazu habe sie 20 Tabletten eines Psychopharmaka-Medikaments in Wasser aufgelöst und dem Mann zum Trinken gegeben. Es habe sich um eine potenziell tödliche Dosis gehandelt.
Danach soll sie ebenfalls von der Flüssigkeit getrunken und sich zu dem 79-Jährigen ins Bett gelegt haben. Angehörige hatten das Paar, das zu dem Zeitpunkt nicht mehr ansprechbar gewesen war, gefunden. Durch Notärzte und die Behandlung im Krankenhaus wurden beide gerettet.
Verteidigerin: Tragischer Fall
Zum Prozessauftakt bezeichnete die Verteidigerin das Geschehen als einen tragischen Fall, der durch Überforderung, Verzweiflung, permanenten Schlafentzug und Alkohol ausgelöst worden sei. Die 63-Jährige sei mit der immer schwerer werdenden Pflege überfordert gewesen.
In einem später aufgefundenen Schreiben beschwerte sich die Frau, dass ihre Bitten um Hilfe ignoriert worden seien. Die Angeklagte, die zum Tatzeitpunkt einen Alkoholwert zwischen 2,6 und 2,9 Promille gehabt haben soll, bedauerte das Geschehen und berichtete, dass sie durch die nächtliche Pflege an dauerhaftem Schlafmangel gelitten habe. „Ich konnte tagelang nicht mehr schlafen“, sagte sie. Ihren Mann habe sie nach 40 Ehejahren nicht in ein Pflegeheim geben wollte. Am Ende habe sie keine Kraft mehr gehabt.
Inzwischen ist die Frau verwitwet, da der Mann an einer Lungenentzündung gestorben sei. Der Bruder der Angeklagten, der das Paar gefunden und die Rettung eingeleitet hatte, sprach als Zeuge ebenfalls von Überforderung und berichtete über die Alkoholprobleme seiner älteren Schwester.
Ähnlicher Fall vor Landgericht Wiesbaden
Die mutmaßliche Tat erinnert an einen ähnlichen Fall vom Frühjahr dieses Jahres vor dem Landgericht Wiesbaden. Damals wurde ein 80-Jähriger wegen Totschlags zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, weil er seine pflegebedürftige Ehefrau getötet hatte. Er hatte sie in der Nacht zum 1. Juni 2023 in Wiesbaden im häuslichen Wohnzimmer im Pflegebett erwürgt. Das Gericht sah bei dem Mann eine verminderte Schuldfähigkeit. Der Deutsche hatte seine Ehefrau, die an Kinderlähmung erkrankt war, über einen langen Zeitraum größtenteils selbst gepflegt. Nach der Tat schrieb er seinem Sohn eine Nachricht, dass er die Mutter erwürgt habe.
Die Richterin in Wiesbaden sprach damals von einem „menschlichen Drama“ mit dem schlimmsten Ausgang. Sie verwies darauf, dass die Belastungen von Angehörigen in der häuslichen Pflege ein gesellschaftliches Problem seien, das häufig verschwiegen werde.
Für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen gibt es zahlreiche Hilfsangebote, die beispielsweise über die jeweils zuständige Pflegekasse erfragt werden können. Weitere Informationen dazu finden sich unter anderem auch auf dem Internetportal https://www.pflege-in-hessen.de/.