In sozialen Medien verbreiten Prediger ein absurdes Islamverständnis. Ihr Ziel ist es, Jugendliche zu missionieren. Ein Einblick in die salafistische Online-Szene.

In sozialen Medien verbreiten Prediger ein absurdes Islamverständnis. Ihr Ziel ist es, Jugendliche zu missionieren. Ein Einblick in die salafistische Online-Szene.

Wutentbrannt schreit ein Mann mit langem, rotem Bart in ein Mikrophon: „Wir müssen die Da’wa überall hinbringen!“ Da’wa ist arabisch und bezeichnet die „Einladung“ zum Islam. Doch Radikale wie Pierre Vogel, der im Video brüllt, missbrauchen den Begriff – sie wollen missionieren. Der deutsche Prediger, im Internet auch als „Abu Hamza“ bekannt, ist komplett in weiß gekleidet, trägt eine Takke, die muslimische Männer beim Gebet aufsetzen. Mit Beten hat Vogels emotionaler Ausbruch jedoch wenig zu tun. „Wir können keine Blockhütte im Wald bauen, wo wir Da’wa draufschreiben und dann warten, bis irgendeiner sich verläuft“, tobt er weiter. Mitten im Satz schlägt Vogel mit beiden Fäusten auf den Tisch. Es folgen „Allahu Akbar“-Rufe aus dem Publikum.

In sozialen Medien kursiert das Video auf verschiedenen Kanälen, erhält tausende Likes. Viele Nutzer amüsieren sich über den Ausraster des Predigers, ein Tiktok-Kanal beschreibt das Video als „old but gold“ – jetzt schon ein Klassiker. „Erinnert mich an eine Rede 1934“, kommentiert ein User. Salafisten-Hitler? Tatsächlich erinnert Vogels Wutausbruch an den Diktator.

Social Salafisten

Das Beispiel zeigt, wie sich islamistische Inhalte digital verbreiten und normalisiert werden. Warum kommen Prediger wie Vogel so gut an? Und sind solche Videos wirklich gefährlich?

Islamismus wird zum Meme

Ahmad Armih, der sich „Abul Baraa“ nennt, ist ein Salafisten-Kumpel von Pierre Vogel. In seinen Videos gibt sich Baraa als Lifecoach. Er lädt aufgezeichnete Predigten hoch, erklärt seinen muslimischen Followern, wie sie zu leben haben. Und wie nicht. Alkoholfreies Bier trinken? Kein Problem. Aber bloß nicht draußen mit der Flasche rumlaufen! Baraa lacht herzlich, scherzt mit dem Publikum. Wer sich so verhält, kann niemandem etwas Böses wollen – richtig? Ein genauer Blick auf die Social-Media-Kanäle des Predigers lohnt sich. Körperlich behinderte Menschen werden „zur Rechenschaft gezogen“. Die meisten Höllenbewohner seien Frauen. „Ungläubige“ sei kein Schimpfwort, sondern eine Tatsache. Das alles sind Aussagen von Baraa.

Gefährlich sind aber nicht nur die Inhalte selbst, sondern auch die vermeintlich sympathische Art, mit der Online-Salafisten diese vermitteln. Extremismus wird zur Nebensache. Ein weiteres Beispiel ist das Internet-Meme „Ew, brother, ew! What’s that brother?“. Der Spruch stammt von einem radikalen Prediger namens Mohamed Hoblos, der damit Muslime nachäfft, die seiner Meinung nach nicht fromm genug leben. Auf YouTube hat das Original-Video mehr als drei Millionen Aufrufe, und Meme-Seiten verwenden den Ausschnitt für humoristische Kurzvideos. Islamismus erreicht Kultstatus. Im Online-Versandhandel lassen sich sogar T-Shirts mit Hoblos Gesicht und seinen Worten auf der Brust kaufen.

Interview Daniel Gladiator 20.34

Radikalisierung von Jugendlichen auf Tiktok

Nachdem drei Taylor-Swift-Konzerte in Wien wegen Terrorgefahr abgesagt werden mussten, treffen sich Pierre Vogel und Abul Baraa zu einem Talk auf Tiktok. Die „Bild“-Zeitung will herausgefunden haben, dass Baraa zur Radikalisierung des 19-jährigen Anschlagsplaners Beran A. maßgeblich beigetragen hat – und beruft sich dabei auf Geheimdienstkreise. Baraa und Vogel bestreiten in dem Gespräch, dass sie mit den Terrordrohungen in Wien etwas zu tun haben, wie „Der Standard berichtet.

Ob an den Anschuldigungen etwas dran ist, lässt sich nicht eindeutig belegen. Dennoch vertreten die Prediger ein problematisches Islamverständnis. Abul Baraa verbreite „sein salafistisches Weltbild, das der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zuwiderläuft“, heißt es in einer Meldung des Verfassungsschutzes Baden-Württemberg. Zudem verweist das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) auf die radikalen Ansichten von Pierre Vogel. Dessen Kritik richte sich primär an liberale Muslime, die aus seiner Sicht den Islam verfälschen. Er falle durch „islamistisch motivierte, queerfeindliche Äußerungen“ in seinen Predigten auf.

„Sowohl Ahmad Armih als auch Pierre Vogel sind dem Verfassungsschutz bekannt. Die von ihnen propagierten Inhalte sind nach wie vor als salafistisch zu bewerten“, gibt das BfV gegenüber dem stern an.

Homophobie Protokoll Tugay Sarac 17.30

Seit dem 7. Oktober häufen sich dschi­ha­dis­tische Inhalte

Im aktuellen Jahresbericht warnt das BfV vor dschi­ha­dis­tischer Propaganda im Internet. Zeitweilig seien islamistische Inhalte im Berichtsjahr zwar zurückgegangen, hätten aber seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 wieder deutlich zugenommen. Europol habe wiederholt auffällige Kanäle und Gruppen gelöscht. „Diese Maßnahmen können die Verbreitung dschi­ha­dis­tischer Inhalte zwar nicht verhindern, erschweren diese jedoch“, heißt es in dem Bericht.

Auf Tiktok, wo Vogel und Baraa miteinander sprachen, finden sich solche islamistischen Inhalte. Die Zielgruppe: Jugendliche. Sie sind besonders anfällig. Der Jahresbericht 2023 des Verfassungsschutzes Brandenburg spricht sogar von einer „Tiktokisierung des Islamismus“. Die Plattform selbst will sich nicht dazu äußern, warum Extremisten ihr Gedankengut dort verbreiten dürfen. Eine Sprecherin des Unternehmens verweist nach Anfrage des stern lediglich auf die Richtlinien bezüglich Hassrede und Extremismus. Tiktok arbeite daran, es Nutzern zu erschweren, hasserfüllte Inhalte und Konten zu finden. Doch viele Profile werden nicht gelöscht, auch wenn sie gegen die Community-Guidelines verstoßen.

Online-Salafisten können in sozialen Medien also weiterhin nahezu ungehindert radikale Ideen verbreiten. Daher ist es an den Nutzern, die Videos richtig einzuordnen. Und sich nicht von der sympathischen Art der Prediger täuschen zu lassen.

Quellen: BfV, BILD, Brandenburger Verfassungsschutzbericht 2023, Der Standard,  Verfassungsschutzbericht 2023, Verfassungsschutz Baden-Württemberg, Konrad Adenauer Stiftung