Darja Varfolomeev ist die erste deutsche Olympiasiegerin in der Rhythmischen Sportgymnastik. Die 17-Jährige gewann in Paris den Mehrkampf mit Reifen, Ball, Keulen und Band. Der stern hat sie gesprochen.

Darja Varfolomeev ist die erste deutsche Olympiasiegerin in der Rhythmischen Sportgymnastik. Die 17-Jährige gewann in Paris den Mehrkampf mit Reifen, Ball, Keulen und Band. Der stern hat sie gesprochen.

Frau Varfolomeev, Sie haben am Freitag in Paris Sport-Geschichte geschrieben. Seit 1984 hat es für Deutschland keine olympische Medaille mehr in der Gymnastik gegeben. Was ist das für ein Gefühl? 
Es bedeutet mir alles. Unglaublich, dass die ganze Arbeit, der Schweiß, das Weinen, die Schmerzen sich gelohnt haben und ich eine Goldmedaille um den Hals habe. Ich habe es immer noch nicht richtig verstanden. Gestern war der Empfang in Stuttgart, es waren so viele Menschen dort, ich habe mich sehr gefreut. Ein großes Gefühl. 

© Axel Kaste

Ihre erste Emotion, nachdem Sie im Finale am Ende das Band gefangen hatten: Sie schlugen mit der flachen Hand auf den Boden. Ein Bild, das um die Welt ging. Erinnern Sie sich an diesen Moment? 
Ich habe mein ganzes Leben darauf hingearbeitet, dieses Jahr mit der Schule ausgesetzt und werde die 10. Klasse wiederholen müssen. Ich konnte es wirklich erst glauben, als ich die letzte Übung mit dem Band beendet hatte und wusste, dass ich keinen großen Fehler gemacht hatte. 

Ihre Mutter, selbst Sport-Gymnastin, hat Sie mit drei Jahren zu einem Kurs der Rhythmischen Sportgymnastik angemeldet. Ihr Vater ist für Sie nach Deutschland gezogen. Er bringt Ihnen das Mittagessen zum Training. Hat die Unterstützung Ihrer Familie geholfen? 
Ohne sie hätte ich das niemals geschafft. Ein besonders großes Dankeschön geht an meine Trainerin und an meine Familie, die natürlich auch mit vor Ort war. 

Mit zwölf Jahren kamen Sie allein aus Russland nach Deutschland, die ersten drei Jahre verbrachten Sie ohne Ihre Familie in einem fremden Land. Jetzt sind Sie 17 Jahre alt, sechsmalige Weltmeisterin und kamen im Mehrkampffinale auf 142,850 Punkte. Das lag auch an dem hohen Schwierigkeitsgrad, den Sie in Paris gezeigt haben. 
Olympia ist der Traum eines jeden Athleten, einer jeden Athletin. Ich hatte natürlich immer im Kopf, wenn ich diese vier Übungen nicht sauber schaffe – was wird dann? Also Nervosität war dabei, als ich nach Paris gefahren bin. Aber dann habe ich mich zusammengerissen, mich konzentriert und habe meinen Job gemacht. 

Sie trainieren unter der Olympionikin Yuliya Raskina, die bei den Olympischen Spielen 2000 die Silbermedaille holte, damals fast im gleichen Alter wie Sie. Am Ende Ihrer letzten Übung sieht man, wie Ihre Trainerin vor Erleichterung die Arme in die Luft reißt. 
Als ich die letzte Übung beendet hatte, lag ich kurz auf dem Boden. Dann habe ich zu meiner Trainerin geblickt, sie meinte: „Ich glaube, du hast es geschafft.“ Da wusste ich, dass ich punktemäßig so weit vorne liege, dass ich eine Chance habe. Nach mir kam nur noch eine andere Sportlerin. 

STERN PAID 32_24 Sportgymnastin Varfolomeev 18.33

In der Qualifikation für das Finale gab es ein Problem mit dem Reifen: Plötzlich sprang er Ihnen weg. Sie mussten einen Ersatzreifen nehmen. Ein Schreckensmoment? 
Absolut. Bei so etwas ist es wichtig, dass man sich nicht aus der Ruhe bringen lässt, einfach weitermacht. Die Qualifikation ist natürlich auch nicht ganz so wichtig. Das Wichtigste ist: Man schafft es ins Finale. 

Ihre deutsche Teamkollegin Margarita Kolosov wurde mit der letzten Kür vom Bronzeplatz verdrängt. Anstatt sich über Gold zu freuen, gingen Sie zuerst zu ihr. 
Ich habe Margarita getröstet, weil sie ganz knapp den dritten Platz verpasst hat. Mir war es wichtig, zuerst zu ihr hinzugehen und sie zu trösten. Weil das natürlich auch ein schwerer Moment war.

© Laci Perenyi

Sie haben es geschafft, dass Rhythmische Sportgymnastik vor allem in den sozialen Medien viel Aufmerksamkeit bekommt. In den Kommentaren liest man neben viel Zuspruch auch Aussagen zu Ihrem Körper oder Ihrer Herkunft: Sie wurden in Barnaul, in Westsibirien, geboren. Macht das etwas mit Ihnen als Sportlerin?
Mein Großvater ist Deutscher. Seit meiner Geburt besitze ich den deutschen Pass. Mit zwölf Jahren bin ich allein aus Russland nach Deutschland gekommen, weil ich hier die größeren Chancen hatte. Ich turne und zeige meine Arbeit, die ich in der Halle vorbereitet habe. Da ich schon lange in Deutschland lebe und in Deutschland arbeite, macht es mich stolz, dass ich die deutsche Flagge auf der Bühne aufmachen kann. Ich kann mir vorstellen, dass ich in den Sprüngen vielleicht vergleichsweise dünn aussehe, weil ich sehr lange Beine habe. In meiner Familie sind alle sehr schlank, wir alle haben diesen Körper. 

Wie erholen Sie sich jetzt? 
Morgen geht es für zehn Tage mit der Familie ans Meer, wir freuen uns alle sehr. 

Und danach?
Das nächste Olympia: 2028 in Los Angeles. Aber erstmal geht es wieder mit dem Training und der Schule weiter.